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Lyrische Lebenswelten
Zur ungegenständlichen Kunst von Nikolaus Hipp
Von Dr. Norbert Göttler
Prodekan der Klasse „Arts“ der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (EASA), Bezirksheimatpfleger von Oberbayern a.D.
Als Wassily Kandinsky im Jahr 1912 sein Werk „Über das Geistige in der Kunst“ veröffentlichte, ahnte kaum jemand, dass die darin enthaltene Programmatik Ausdruck und Höhepunkt einer künstlerischen Revolution war. Kunst sollte von nun an nicht mehr Produkt individueller Gefühle und Inspirationen sein, sondern Ausdruck der kosmischen Seinsbezogenheit des Menschen an sich, eine Metapher für die „mystisch-innerliche Konstruktion seines Weltbildes“ (Franz Marc). Welt und Natur seien als Gleichnisse anzusehen und die Kunst als Schlüssel zur ihrer Dechiffrierung. Diese „Spiritualisierung von Farbe und Form“ konnte nicht mehr basieren auf dem Abbildhaften, dem Konkreten – die Geburtsstunde der ungegenständlichen Malerei hatte geschlagen. Von nun an sollte das Geheimnisvolle der Welt mit geheimnisvollen Chiffren beschrieben, die Realität verschlüsselt statt entblößt werden.
Über hundert Jahre sind seit den Anfängen der ungegenständlichen Malerei vergangen und immer noch erregt sie die Gemüter, immer noch inspiriert sie aber auch weltweit Künstlerinnen und Künstler. Nikolaus Hipp, dessen Pastelle und Gouachen wir im vorliegenden Kalender bewundern können, ist einer von ihnen. Er gehört zu jenen, die ungegenständliche Kunst nicht aus einer modischen Attitüde heraus schaffen, sondern in enger Anlehnung an die Ursprünge und Grundüberlegungen dieser Kunstauffassung. Sein Orbis pictus umfasst mittlerweile einen gewaltigen Horizont an inneren Landschaften und Stimmungen, an geheimnisvollen Ufern und Abgründen. Die Kunst und ihre Chiffren geraten bei ihm zu einem Kaleidoskop des Geistigen und Geheimnisvollen. Nikolaus Hipp erreicht dieses Ziel, indem er künstlerische Inspiration mit haptischer Handwerkskunst zu verbinden vermag. Seine Zeichen und Symbole sind ebenso bewusst eingesetzt wie das Material, das er verwendet. Die Papiere (handgeschöpftes Nepalpapier und Papyrus) sind nicht bloße Trägersubstanz, sondern existentieller Bestandteil seiner Kunst. Die Pastell- und Gouachefarben – wasserlösliche Farben mit Pigment- und Kreideanteilen – lasieren geheimnisvoll und lassen den von fernen Ländern und Kulturen erzählenden Hintergrund Teil der Bilder werden.
„Lyrische Lebenswelten“ nennt Nikolaus Hipp den Bilderbogen, mit dem er uns durch das Jahr 2024 geleiten will und lässt damit schon ein Motiv mitklingen, das ihn zeitlebens besonders geprägt hat: die Musikalität des Lebens. Wenn das Instrument der Lyra Sinnbild von Texten ist, dann sprechen wir von Lyrik und Poesie, von rhythmischen und durchkomponierten Worten und Zeilen. Gleiches gilt für die Malerei. Auch sie kann in unserer Seele Schwingungen und Gestimmtheiten erzeugen. Die Pastelle und Gouachen von Nikolaus Hipp sind mit ihren fein abgestimmten Farben, mit ihren geheimnisvollen, aber immer strukturierten und komponierten Formen ganz besonders geeignet, ein heilsames „Bilderreich der Seele“ zu werden.
Die innere Dynamik des Lebens, die in allen Farben und Formen steckt, sie führte Nikolaus Hipp schon früh zur ungegenständlichen Malerei. Sie gab ihm die Legitimität, in der Malerei den Gegenstand zu verlassen und allein auf die emotionale Suggestionskraft von Form und Farbe zu vertrauen. Nur eine innerliche, vergeistigte Kunst kann für ihn beim Betrachter feine Emotionen erwecken und seine Seele zum Schwingen bringen. Von Hipps Bildern gehen Wirkungen aus, die eine „Seelenvibration“ beim Betrachter erzeugen, seine Farbennuancen regt Sinnesreizung und Sinnesberuhigung gleichermaßen an. Hipps Bilder sind nicht figürlich, aber nicht unsinnlich. In ihrer betörenden Farbigkeit nehmen sie bisweilen eine fast erotische Komponente an. Auch darin können sie vor dem Anspruch Wassily Kandinskys bestehen, der in seiner Programmschrift „Über das Geistige in der Kunst“ geschrieben hat[1]:
Die Form selbst, wenn sie auch ganz abstrakt ist und einer geometrischen gleicht, hat ihren inneren Klang, ist ein geistiges Wesen mit Eigenschaften, die mit dieser Form identisch sind. Ein Dreieck etwa ist ein derartiges Wesen mit dem ihm allein eigenen geistigen Parfüm. In Verbindung mit anderen Formen differenziert sich dieses Parfüm, bekommt klingende Nuancen, bleibt aber im Grunde unveränderlich, wie der Duft der Rose, der niemals mit dem des Veilchens verwechselt werden kann.
[1] Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst. München 1912
Lyrische Lebenswelten
Ein Mosaik aus den Glaswerkstätten von Gustav van Treeck nach einem im Jahre 2006 entstandenen Ölbild ist das Entree zu den lyrischen Bilderwelten von Nikolaus Hipp.
In der Antike erzählten die Mosaiken dem Besucher beim Betreten der Villen über Göttinnen und Götter, Heldinnen und Helden oder von historischen Ereignissen. Die Kunstwerke waren ein Statement des Gastgebers und machten gleichzeitig neugierig auf dessen eigene Geschichte und Botschaft.
So wie jeder der eingelegten Steine erst in der Komposition der Farben sowie Schattierungen und an dem ihm zugedachten Platz im Gesamtwerk seine spezielle Wirkung erzielt, sind es für Nikolaus Hipp zunächst die Formen, die seinen Kunstwerken Gestalt geben.
Wie in der Lyrik ist es somit die spezielle Form, die den Worten respektive den Farben ihre Strahlkraft verleiht.
Dabei liegt die Herausforderung für den Leser eines Gedichts wie für den Betrachter eines Bildes darin, zu den verborgenen Botschaften durchzudringen.
Wer die gegenstandslosen Bilder von Nikolaus Hipp beschreiben will, begibt sich in eine Diskussion, die spätestens seit der Antike geführt wird. Wenn Horaz in „Die Kunst der Poesie“ ,Ars Poetica“, schreibt, „ut pictura, poesis“, also „wie ein Bild ist die Dichtung“, dann ist das vielleicht die Wirklichkeit. Doch liest man weiter und setzt das im Satz nachfolgende „erit“ noch zur Aussage gehörend dazu, wird daraus eine Anweisung: „Wie ein Bild soll die Dichtung sein“.
Worauf sich die Frage anschließt: Lassen sich Bilder in Sprache übersetzen?
Michel Foucault, einer der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts und des Poststrukturalismus, hat die Korrelation zwischen Sprache und Bild in die „Ordnung der Dinge“ beschrieben, wonach sich Sprache und Malerei zueinander irreduzibel zeigen,
„vergeblich spricht man das aus, was man sieht: das, was man sieht, liegt nie in dem, was man sagt; und vergeblich zeigt man durch Bilder, Metaphern und Vergleiche das, was man zu sagen im Begriff ist.“
Wer die gegenstandslose Malerei von Nikolaus Hipp und die Bilder seines Kalenders in ihrer jahreszeitlichen Abfolge betrachtet, dem mögen vielleicht Parallelen in der Lyrik in den Sinn kommen – zum Beispiel, wenn sich nach dem Weiß der Wintermonate der Frühling langsam herausschält und strahlende Blautöne immer mehr Gewicht bekommen. Wie nun das Bild „Mai“ sprachlich darstellen? Eine Antwort könnte lauten: „Er ist’s.“ So der Titel des Frühlingsgedichts des Lyrikers Eduard Mörike mit den bekannten Zeilen „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte…“ Wer hat da nicht seine eigenen Bilder im Kopf!
Die Rottöne des Sommers sprechen vom Feuer und vom sich Verzehren. Manch einer mag im Bild des „Juni“ eine ausdrucksstarke Tänzerin im roten Flamenco-Kostüm erkennen – die Wirklichkeit liegt bei den Kunstwerken von Nikolaus Hipp in den Augen des Betrachters. Der Fantasie sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.
Wenn gegen Jahresende gedecktere Farben in den Kalenderblättern den Ton angeben, dann repräsentieren diese den vom „Dichterfürsten“ Wolfgang von Goethe in der Gedichtsammlung „West-östlicher Divan“ beschriebenen Zyklus des „Stirb und werde“. Die letzte Strophe des Gedichts „Selige Sehnsucht“ handelt von der Metamorphose des Seins:
„Und so lang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.“
Wenn dem ewigen Wandel Göttliches innewohnt, so kann die Malerei mit ihrer unendlichen Beziehung zwischen Form und Farbe, die immer mehr sein wird als das, was der Mensch mit Sprache erfassen kann, wahrlich als göttliche Kunst betrachtet werden.
Dr. Birgit Muth
Zum Frühwerk von Nikolaus Hipp
Die in diesem Kalender präsentierten Arbeiten von 1973-78 gehören zum Frühwerk des Malers Nikolaus Hipp, mit dem er sich auf Anraten von Marion Bembé ab 1975 erstmals der Öffentlichkeit präsentierte. 1981 erfolgte die erste Einzelausstellung. Man darf vermuten, dass sie als erste, nunmehr eigenständige Arbeiten erschienen, die sich von der notwendigen nachahmenden Erprobung, den formalen Einflüssen der Ausbildung und den realistischen Anfängen lösten. Als Kind schon zeichnend, studierte er Jura und Oboe, ließ sich aber auch bis 1970 vom Münchner Maler Heinrich Kropp gründlich künstlerisch ausbilden. Sein Lehrer zerlegte schon seine Bilder wie Paul Klee in Gefache von Flächen, die aus dunklem Grund leuchten und wurde abstrakt. Von ihm lernt er, wie schwer es ist, gut zu sein, und der gelegentlich malende Vater mahnt, wie unsicher der Künstlerberuf ist. So übernimmt er 1968 als Geschäftsführer höchst diszipliniert und erfolgreich den Familienbetrieb, bleibt aber der Malerei treu, in der sich ihm neue Welten öffnen und ganz andere Entscheidungen getroffen werden müssen, die ohne vorgefasstes Ziel im fortlaufenden Malprozess in ihren Auswirkungen erspürt werden wollen. In der abstrakten Bildsprache von Nikolaus Hipp bleiben gelegentliche figürliche Anmutungen und landschaftliche Bildbaumuster bestehen. Er arbeitet allein mit Farbe und benutzt sie als lichterfüllte Materie, die er schichtet und im freien Spiel der Kräfte entwickelt. Dieses Ringen ist durchaus existenziell, und es geht nie um eine spielerisch beliebige, emotional impulsive oder konstruktiv modulare Formfindung. Ihm wird der Farbraum eine Sphäre.
Die abstrakte Kunst, der er sich zuwendet, nahm ihren Ausgang im Umfeld von 1907-1913, wie man heute weiß, bei Hilma af Klint, Wassily Kandinsky, Kasimir Malewitsch, František Kupka, Sonia Delaunay und Piet Mondrian. Ihr sinnbildhafter geistiger Gehalt setzte Zeichen mit dem Ziel des harmonischen Ausgleichs von Gegensätzen und hatte dabei spirituelle, theosophische und musikalische Wurzeln. Komponierte Musik ist emotional und ausdrucksstark, nutzt Kontrapunkte und Dissonanzen, aber man verlangt ihr nicht ab, Naturklänge zu imitieren, höchstens adäquate Stimmungen, also Analogien zu erzeugen. Ihre Abstraktheit ist anerkannt. Die gegenstandslose Welt von Farben und Formen hat es da schwerer, Akzeptanz zu finden. Die Formwelt, die in der abstrakten Malerei durchgespielt wird, beginnt historisch mit Geometrie, weicht auf zu dunstigem Flaum und biomorphen Strukturen, wird Verlaufsform, Klecks und aufgekratzte Materie, gräbt sich ins Material, collagiert und montiert es, wird informell, kalligraphisch oder lyrisch, sucht modulierten Purismus im Farbfeld und kehrt zum Reichtum gegenständlicher oder technischer Formen anspielungsreich zurück, aber mit einem freieren Geist der kombinatorischen Phantasie und kompositioneller Orchestrierung der Farbwelt. In diesem Umfeld hat Nikolaus Hipp variantenreich einen eigenständigen Weg eingeschlagen und durchgehalten. Seine überlagerten Pinselsetzungen verdichten sich nicht zu Farbfeldern wie bei Cézanne oder Klee. Vielmehr sind es der Abstraktion der 1960er Jahre nahe Flächensegmente in durchlichteten Raumvolumen ohne perspektivische Ausdehnung, die wie nicht von dieser Welt erscheinen, aber auf sie in irdischer Kennung Bezug nehmen. In dieser uneindeutigen, spirituellen, mitunter von Göttlichem durchwirkten mystischen Aufladung besteht die persönliche naturmetaphorische Bildsprache des Künstlers.
Dem Geheimnis von Bildintensität, die durch Komposition und Farbe gesteigert werden kann, kommt jeder näher, der mit einem Bildprogramm Ausschnitte aus Fotos herausgelöst hat, die von Ballast befreit, ihre Wirkung steigern. Nicht nur das Motiv zählt, sondern das Ganze ist ein Bild, in dem nichts überflüssig ist oder ohne Wechselwirkung nachlässig behandelt werden kann. Dazu gehört Entschlusskraft, Gespür, die Erfahrung vergleichenden Sehens und Risikobereitschaft. Darin zeigt sich die persönliche Handschrift. In seinen Bildern hat Nikolaus Hipp Farbe nach und nach auf die Leinwand gebracht, aber auch durch Übermalung abgedeckt und zurechtgestutzt. Ein Orchesterklang baut sich so auf, dessen Instrumente vorsortiert wurden, deren Beteiligung aber im Spiel moduliert wird. Der Ausgleich der Bildkräfte folgt beim Künstler nicht einer seichten Harmonie des Wohlgefälligen, sondern fordernd pointiert und mit dem vollen Risiko, Gegensätzliches in seiner Eigenart zu belassen. Zu Anfang seiner Laufbahn sind die
Farbräume zarter, ab 1981 werden sie kraftvoller, ab 1990 von Pinsel- und Spachtelspuren geprägt, um 1997 auch dunkelbunt und flirrend. Energie und Leuchtkraft dringen in die Bildwelt. Lineares erscheint in den Flächenräumen meist nur mehr als Farbkante. Ab 2000 sind die inselhaften und plastisch verwobenen Farbdurchdringungen sicherer und spärlicher gesetzt.
In den Arbeiten dieses Kalenders überdecken sich dünn aufgetragene und mit reichen Pinselzügen strukturierte Flächen. Verwaschen durchlässig wie Vorhangstoff teilen Farbbahnen den Bildraum und grenzen die Sicht auf ferne Landschaftsanmutungen ein. Die beim Durchwandern des Bildes mit den Augen verspringenden Sequenzen eröffnen einen sphärenhaft geschichteten Ahnungsraum. Ein nüchtern träumerisches Gefilde für überlagerte Assoziationen entsteht, das anfangs noch den Eindruck figurativer Gebärden erweckt (Januar) oder archaisch bedeutsamer Gestik entlehnt scheint (Februar), die an das goldene Kalb erinnert. Hier erweist sich die biblische Bildwelt beim Künstler tief verankert. Ein heiligmäßiger Bühnenraum entsteht, der sich trotz gelegentlich kraftvoller Farbdichte nicht aufdrängt, sondern anbietet, bedächtig betreten sein will. Mal wehrhaft fordernd (März), mal sehnsüchtig verloren (April), mal voll Andachtsstille und mildem fernem Klang. Im Maibild erscheint Maria wesenhaft und ein sakraler Raum entsteht im vagen Bildgrund, der sich im Juniblatt zur Halle zu erweitern scheint, zu einer Pilgerstätte. Derlei Andeutungen bereichern die ungegenständliche Bildwelt um eine Ahnung von der Gegenwart des Göttlichen.
Das Bergende des Ortes wird im Juli zelthaft, ein dunkler eingetiefter Platz im fernen sandigen Grund, der dennoch trostreich erscheint. Im Augustbild wird es dynamischer, landschaftlich und gläsern konstruiert. Erstaunlich, wie die Lichterfahrung der Bildräume mit Ausdehnungsvermutungen korrespondiert. Glaubhaft irreale Räume jenseits des Hyperrealismus entstehen hier, so empfindlich, unscharf und unphysikalisch wie Träume und Erinnerungsbilder, voller loser Andeutungen, wie in der Poesie, aber dafür reich als Resonanzfläche für geistige Prozesse.
Nikolaus Hipp entwickelt viele seiner Bilder durch Akzente, die stehengelassen werden und durch wolkige Überdeckungen als kostbare Setzungen herausgearbeitet sind. Wichtiges, glückhaft Gewordenes bleibt stehen wie ein unwiederbringlicher, guter Gedanke, ein spontaner Einfall, der geschützt werden muss, einem Reliquiar gleich. Überflüssiges wird abgedeckt, doch alles ist sichtbar entstanden und so belassen. Ein Gefühl des Unterwegsseins, mal als Drift (September), mal als brückenhafte Architekur (Oktober), bringt ein Bewegungsmotiv ein. In diese zerlegten Bild-
räume schneidet sich keine klare Fläche als Fremdkörper ein. Alles hat gemeinsamen Ursprung, ist stete Gewichtung, ist mutiger Entschluss, der nicht mehr zurückzunehmen ist, wird Spannung und schafft Aufmerksamkeit für Neues, Unerwartetes, für Details und züngelnde Energie (November). Hier bändigen massive Flächen einen gebündelten Konflikt.
Ein gemalter, erwirkter und empfundener Lebensraum tritt in den Bildern gegenüber, ein Ausblick auf ein Schöpfungsgeschehen, an dem man teilhat, ehrfürchtig staunend, traut und ohne Aufdringlichkeit, von intimer Magie (Dezember). Da geht keine Angst um, da wird es nicht sentimental und schwärmerisch, da wird es nicht krass und plakativ medial, sondern herausfordernd und friedlich ernst. Es bleibt eindringlich, aber nicht lieblich, denn Natur ist schön und unerbittlich zugleich. Ein komplexes Geschehen wird da ohne Beschönigung in reicher Varianz so gebändigt, dass Betrachtende Einklang spüren können, aber nicht eindösen. Jedes Bild ist ein Einzelwerk, ein individueller Neustart ohne Wiederholungsmuster, eine gute Herausforderung. Dies Ringen an der Leinwand findet seinen Abschluss in einem Zustand der Entrückung, der aus der freien Malerei etwas Eigenes, Visionäres macht, das man auf Welterfahrung beziehen kann. Man erlebt sich in diesen kulissenhaften Sphären nicht unbeschwert, aber zuversichtlich und geborgen. Das lässt hoffen.
Dr. Dirk Tölke
Licht und Schatten
Zu den vielen verkürzten Veranstaltungen aufgrund der Covid-19-Krise zählt auch eine Ausstellung mit Bildern von Nikolaus Hipp, die während der Fastenzeit 2020 in der Klostergalerie der Erzabtei St. Ottilien präsentiert wurde. Passend zur Fastenzeit und der 40-tägigen Annäherung an das Ostergeheimnis trug diese Ausstellung den Titel „Licht und Dunkel“. Diese Ausstellung wurde gut angenommen und die Bildsprache von Nikolaus Hipp regte viele Besucher als fastenzeitliche und lebensdienliche Übung an, bis sie nach einigen Wochen Laufzeit aufgrund der Sicherheitsbestimmungen geschlossen werden musste. Die verkürzte Veranstaltung lebt nun ein wenig weiter dank dieses Kalenders, der einen Teil der ausgestellten Bilder präsentiert. Aus „Licht und Dunkel“ wurde der Titel „Licht und Schatten“, was eine gewisse Klärung mit sich bringt. Während im Wort „Dunkel“ in fastenzeitlicher Ausrichtung das Geheimnis des Bösen mitschwingt (das Leiden Jesu, des gerechten Menschen führt nach Matthäus 27,45 zu einer Verdunkelung und zu Finsternis), spricht „Schatten“ eine Realität aus: Licht wird sichtbar durch Schatten und der Schatten wird nur wahrgenommen, wenn Licht vorhanden ist. Beides bedingt sich gegenseitig. C. G. Jung nutzte dieses optische Phänomen für seine Theorie des menschlichen Schattens: Selbst-
entdeckung wird erst möglich, wenn der eigene Schatten erkannt wird, also die negative und verdrängte Seite der eigenen Person bewusst gemacht wird.
Auch bei den hier präsentierten Bildern von Nikolaus Hipp fällt zunächst das Licht auf, die hellen Farben, die sich vielfach aus dunklen oder grauen Hintergründen herausschälen. Diese hellen Farben stehen im Zentrum und geben den Bildern ihre Prägung. Es lohnt sich jedoch, auch den Hintergrund, den Schatten genauer zu betrachten. In diesen unbeachteten Zonen findet sich gleichfalls eine Vielzahl von Farbabstufungen, verschiedene Grün-, Blau-, Grau- und Schwarzstufen, auch helle Farben in gedeckter Technik, welche eine eigene Dynamik erzeugen und in ihrer Unscheinbarkeit erst den hellen Schein der lichterfüllten Flächen hervorheben. Licht und Schatten stehen in manchen Bildern hart neben- und gegeneinander. Vielfach gibt es jedoch auch Übergänge, bei denen Farbflächen Farbtöne der Nachbarzone weiterführen oder auch Farbverläufe sanft zwischen dunklen und hellen Bereichen vermitteln. Nicht weniger entscheidend wie die Farbbalance ist die Form, die bei den Bildern von Nikolaus Hipp zumeist einen Gleichgewichtszustand anstrebt. Die Komposition wirkt überwiegend ruhig, ausgewogen und harmonisch. Dies wird oft geschickt durch kleine Elemente erreicht, Formen oder Farbelemente, die spontan an den Rand oder außerhalb der zentralen Flächen gesetzt wirken, aber in dynamischer Variation erst den Gleichgewichtszustand des Bildes absichern.
Die grundlegende Harmonie der Komposition überträgt sich auf den Betrachter und bewirkt, dass sich die Bilder trotz der gegenstandslosen Inhalte gut in religiöse Kontexte einfügen. Denn ein Grundanliegen religiösen Strebens geht auf die Herstellung innerer Balance, eines Gleichgewichtszustandes im komplexen Verhältnis von hellen und dunklen Lebenszonen. Der schwierigere Teil – wie C. G. Jung aus psychologischer Sicht überzeugend beschreibt – ist dabei die Gewahrwerdung des „Schattens“, der durch den schönen hellen Schein oft vollständig überdeckt wird. Die religiöse und psychologische Technik, wie man nach und nach auch den Schatten des eigenen Lebens wahrnimmt, mag in manchem einer Bildbetrachtung ähneln, bei der man dank geduldigen Sich-Einlassens immer vollständiger das Gesamtbild wahrnimmt.
Für die Bilder von Nikolaus Hipp muss man sich Zeit nehmen, um hinter der in sich ruhenden Form die Vielgestaltigkeit zu entdecken. Ein guter Zugang ist dabei der Titel dieser 22sten lyrischen Lebenswelt „Licht und Schatten“, der den Gleichgewichtszustand dieser thematisiert, und damit anregt, den oft vergessenen und unterschätzten Schattenbereich genauer wahrzunehmen.
Pater Dr. Cyrill Schäfer OSB
Monumentale Kleinigkeiten
Der Blick ist so müde geworden, doch nicht von Rilkes ewig gleichen Stäben, sondern vom Überfluss an neuen Bildern. Ständig sind wir ihnen ausgesetzt, den schönen und den hässlichen, den tragischen und fröhlichen. Wir schließen die Augen, wir lassen keine Empfindung zu , um uns vor den Eindringlingen zu schützen. Und wir vergessen sie schnell.
Hier ist dies anders. Hier können wir einen ganzen Monat auf ein kleines Bild sehen, nicht größer als eine Handspann. Auf den ersten Blick eine ruhige, diskrete Darstellung. Geduldig wartet das Blatt, bis wir genauer hinsehen, uns konzentrieren und neugierig werden.
Dann, Blick nach Blick, mag sich das Bild uns gegenüber öffnen und seine wahre Schönheit zeigen.
Schnelles Erkennen und Einordnen wird uns unmöglich gemacht. Abstrakte Bildwelten wehren sich dagegen, kategorisiert zu werden: ach ja, ein Portrait, eine Landschaft, gar ein Stilleben. Auch weiter Versuche, eine Stilrichtung, eine Malschule zu finden, führen zu keiner befriedigenden Erkenntnis. Erst wenn der intellektuelle Zugriff sich beruhigt, beginnen wir richtig hinzusehen: auf die Farbe, die Formen, den Pinselduktus, die Bildkonstruktion – kurz, auf das eigentliche Wesen dieser kleinen Welten.
Die in diesem Kalender gesammelten Werke sind keine Serie. Sie sind in den letzten 30 Jahren entstanden und nicht im Hinblick auf die Monate, denen sie nun zugeordnet sind.
Sie illustrieren daher nicht die Jahreszeiten, das Werden und Vergehen der Natur. Dennoch bieten sie dem aufmerksamen Beobachter eine Landschaft – eine Seelenlandschaft – zum Entdecken.
Eine Betrachtung: meine Betrachtung
Einige Bilder mögen ganz unmittelbare Erinnerungen an Naturerlebnisse wecken – an neblige, eisige Tage, knirschende Schritte im gefrorenen Schnee und dann, hinter dunklen Wolkenfetzen, dringt hell die Ahnung von warmen Licht durch die diesige Luft .
Das Auge streicht über den flüssig grau-weißen Bildgrund zu einem raschen horizontalen Pinselstrich, vorwärtsdrängend zu einer vertikalen, dunklen Struktur – von der Spachtel hell getrennt, geschabt, übermalt. Unten behauptet sich dagegen ein getupftes, glänzendes Weiß und hinter diesen Farbflächen, mit einer Ahnung von hellem Orange, kündigt sich Licht an.
So halten sich rasches Handeln und bedächtiges Abwägen, Fläche und Struktur im lebendigen Gleichgewicht. Der erste, fast monochrome Eindruck weicht der Freude am subtilen Spiel der Formen und Farben – Januar.
Das kleine Format kann irreführen. Das sind keine Aquarelle, duftige, tanzende Erscheinungen, sondern bedächtig gesetzte Konstruktionen in Öl auf Papier. Farbe in ihrer ganzen haptischen Materialität: deckend und lasierend, opak und transparent, glänzend und matt, krustig, gespachtelt, abgekratzt, übermalt, bearbeitet mit Pinsel, Spachtel und sogar Finger.
Der Bildträger, das Papier, erscheint hin und wieder in abgeschabten Partien, ansonsten bestimmt die Beziehung von Farbfläche und Formen das Spannungsverhältnis des jeweiligen
Werks. Teils tritt der Bildgrund zurück und läßt die Formen reliefartig hervortreten, teils überlagert er diese durch halbtransparente Schichten und läßt sie scheinbar in den dunklen Hintergrund zurücksinken. Dennoch entsteht nie der Eindruck von Willkür, sondern immer der einer innewohnenden Ordnung.
“Harmonie heißt Unterschiede in einen Gleichklang bringen” Nikolaus Hipp
Die horizontalen und vertikalen Farbfelder verbinden sich hier zu festen Formen, Gebäuden gleich, dort auch zu offenen Gitterstrukturen, durch die darunterliegende Farbschichten sichtbar werden. Manchmal “schwimmen” sie gleichsam auf einem dunklen Hintergrund, dessen dünner Farbauftrag die Papier-Struktur sichtbar macht und eine überraschende Tiefenwirkung erzeugt.
Der Vorgang des Malens, der kreative Akt, läßt sich bei genauer Betrachtung verfolgen: das Tempo, die gezügelte Neugier, das präzise Setzen der Bildelemente: von links drängende Farbwellen werden wie eine Flut vertikal gebrochen, um dann nach rechts ruhig auszulaufen. Alle Konzentration gebündelt in einem kleinen roten Farbtupfer – Mai.
Eine massive Form in leuchtendem Rot, bekrönt von einem weißen “Dach”, getragen durch eine Linie in fett leuchtendem Blau wird durch ein mattes Schwarz beruhigt und durch breit und glatt gestrichenes Grau eingerahmt und gebändigt – Juni.
“Auf Formate achten, je größer, desto schwieriger. Quadrate sind problematisch. Ein Rechteck bietet mehr Orientierung .” N.H.
Das Rechteck ermöglicht Sammlung und Zertreuung, kann als Ordnungsgedanke dienen ebenso wie auch als Ausgangspunkt für glänzenden Überfluss, lustvolles Durch – und Miteinander, ein farbiges Verwobensein, das an Musik und Tanz erinnert – Juli.
“Nicht planlos spielen, sondern ernsthaft malen” ermahnt N.H. seine Studenten.
Die Spannung in den Werken N.H.s entsteht durch das Kräftemesen von Farbe und Formen. Rote, mauve und schwarze Strukturen drängen von links gegen größere, schwerere Schwarz-rote Formen. Von einem schmalen Magenta Streifen überhöht, scheinen sie sich nach oben aufzulösen und – wie Eisberge – auf dem transparenten Bildgrund zu schwimmen. Das Auge verliert sich in der Bildtiefe im eisigen Weiß und findet endlich am oberen Bildrand im matten Schwarz seine Ruhe – schönes Drama – September.
“Nicht malen ohne Vorstellung, ohne Ziel, um zu sehen , was passiert” N.H.
Die Spannung entsteht nicht aus Zufall. Die Wirkung der Bilder sind der langjährigen Erfahrung, dem Wissen und vor allem der inneren Einstellung von N.H. geschuldet.Gerade die kleinen Ölbilder verzeihen weder Zügellosigkeit noch Frivolität.
“Wenn die Hand schneller als der Geist ist, entsteht Geistloses, nur wenn sie langsam ist, kann Geistvolles entstehen.” N.H.
So kann dann beim ruhigen Betrachten des Werkes, beim “Gespräch” mit dem Bild, eine eigene, ganz individuelle Assoziation entstehen. Keine Interpretationen, sondern eher Erinnerungen an Gesehenes, Gehörtes und Erlebtes – ein synästhetischer Reiz. So könnte das warme Inkarnat, fast verhüllt von Schichten aus Mauve, transparenten Schleiern gleich, an ein Gesicht erinnern, an ein lang verwehtes Lachen – Oktober.
Die strahlend- bunten Formen, die juwelengleich aus dem warmen Braun aufleuchten, mögen an Schätze erinnern, an Glasfenster der Gotik und byzanzinische Mosaike – August
Das Bedecken, das Verbergen weckt die Neugier, reizt das Auge, das Verborgene zu entdecken, den Eingang zu finden und das Geheimnis zu lüften, das manchmal nur in einem kleinen Funken Gold zu ahnen ist – November.
So kommt man im Laufe des Jahres den Bildern nahe. Eine beglückende Beziehung entsteht in der Freude an der Kunst. Nicht aus der Überwältigung, sondern im schlichten Betrachten dieser “monumentalen Kleinigkeiten”.
“Es ist einfach, aber nicht leicht”. N.H.
Dr. Johanna Gräfin zu Eltz
Das Innere malen.
Nikolaus Hipp – Kalender 2019
»Hinab sich senkend zum Spiegel des Meeres, in drei Zonen geteilt, steinig und weiss die oberste, graugrün von Feigen- und Olivenbäumen die nächste, doch im dunklen Lorbeergebüsch die unterste, die sanft zur Küste auslaufende, so sank der Abhang vor den Augen des Fremden, der auf dem Kamm des Bergzuges stand und hinabsah, hinsah über das Gelagerte und Ruhende, stumpf die Farben der hinsinkenden Erde, doch glänzend der Spiegel, der in ihr ruhte, auf dem sie ruhte, bestrahlt von dem schrägen Licht der steigenden Sonne.«1
Stilrichtungen werden sowohl von persönlichen als auch von universellen Bedürfnissen geprägt, die ihrerseits von den Zwängen der Zeit und der Historie beeinflusst sind. Erkenntnisse und ästhetische Praktiken eines sogenannten Informel, das in allen seinen Spielarten in den Jahren einer zunehmend künstlerischen Neuorientierung nach dem Zweiten Weltkrieg angelegt worden ist, gibt uns Bezug zur vielschichtigen und mystischen Malerei von Nikolaus Hipp, dessen künstlerische Arbeit ich seit vielen Jahren schon interessiert beobachten darf. Die aktuelle Wiederaufnahme alter Prozesse ist weniger von deren ursprünglicher Dynamik bestimmt, als vielmehr von einem vergleichsweise empirisch kalkulierten und intellektualisierten Vorgehen. Nikolaus Hipp, immer ausgehend von der Schönheit der Natur, begann auf dem Feld des Informel gewissenhafte Archäologie zu betreiben. So wirken die meist aus einem seriellen Zusammenhang herausgerissenen Werke wie patinierte Fundstücke mit ihren Zeichen, Gesten und Strukturen, meist an die Grenzen der Paraphrase bekannter Meister und Bildsprachen gehend.
Unter diesem Gesichtspunkt mag man auch das Applizieren verschiedener Oelfarbe-Komponenten auf die Bildfläche zu verstehen. Das Aufmontieren mehrdimensionaler Farbpartien bedeutet hinsichtlich des Bildraumes zweifellos eine Erweiterung. Allerdings erschöpft sich die Bedeutung dieses künstlerischen Verfahrens nicht allein in diesem Aspekt. Es werden Zitate der Alltagswirklichkeit aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen genommen, in eine Bildwirklichkeit versetzt und damit neuen Deutungen zur Verfügung gestellt. Dabei werden die Dinge in ihrer materiellen Existenz – als Feld, Fläche, Raum, Symbol – nicht verändert. Sie behalten ihre Form bei und gewinnen von selbst den Integrationszusammenhang mit den tieferen Schichten der Handschriftlichkeit. In den früheren Arbeiten von Nikolaus Hipp noch klar verständlich und reliefartig, mit dem Reifeprozess mehr als Andeutung und Reduktion lesbar.
»Kunst kann somit nach klassischem Verständnis nicht mehr veristisch oder naturalistisch sein, doch beansprucht sie trotz alledem die Darstellung der Wirklichkeit. Die Kunst erhält einen hohen sinnstiftenden Anspruch, der allerdings in seiner malerischen Verwirklichung noch mehr als ein Jahrhundert auf sich warten lassen sollte und sich erst in Folge der Bemühungen um die abstrakte oder gegenstandslose Kunst von Künstlern wie Piet Mondrian, Kasimir Malewitsch und Paul Klee etablieren konnte.«2
Die Betrachtung und Interpretation der Arbeit von Nikolaus Hipp kann nicht nur auf der Grundlage einer Geneologie des komplexen historischen Phänomens des Informel versucht werden, dessen Ursprünge weit in die Kunstgeschichte der Vormoderne hineinreichen. Die Ansätze der künstlerischen Betätigung waren nämlich von Anfang an weder existenzphilosophisch, noch surrealistisch oder automatistisch, sondern formal experimentiell mit schon bekannten, aber neu interpretierten und analysierten Bildfindungen, sowie Variationen und Serien von differenziertem malerischen Reichtum. Im Verlauf der Entwicklung rückte die skriptural verdichtete, flächige Textur und Struktur immer mehr in den Mittelpunkt des malerischen Interesses. So entstehen Serien von farbgewaltigen Gemälden, die Lesbarkeit wird bedeutungsloser, die Aura wichtiger. In den lichtdurchflutenden Aquarellen sind die Gezeiten noch subtil erfahrbar, in den Oelgemälden begeben wir uns in die Weite der Ozeane, erahnen die Tiefe der Meere, durchdrungen von einer Gischt der Farben als Perspektive für eine erahnte Unendlichkeit. So wie das Kunsterlebnis für den zeitgenössischen Betrachter wird auch das Kunstschaffen von Nikolaus Hipp von immer neu »Erfahrenem« beeinflusst.
Hegel hat diese Problematik treffend beschrieben: »Selbst der ausübende Künstler ist nicht etwa nur durch die um ihn her laut werdende Reflexion, durch die allgemeine Gewohnheit des Meinens und Urteilens über die Kunst verleitet und angesteckt, in seine Arbeiten selbst mehr Gedanken hineinzubringen; sondern die ganze geistige Bildung ist von der Art, dass er selber innerhalb solcher reflektierender Welt und ihrer Verhältnisse steht und nicht etwa durch besondere Erziehung oder Entfremdung von den Lebensverhältnissen sich eine besondere, das Verlorene wieder ersetzende Einsamkeit erkünsteln und zuwege bringen könnte.«
Einem apodiktischen Kunstbegriff wird sich das gesamte Werk von Nikolaus Hipp nicht unterordnen lassen. Für Hipp existieren die Schaffensmöglichkeiten und deren Ergebnisse nicht in sauberer Trennung, sondern vermischen sich ständig zu effektvollen und vielschichtigen Bildoberflächen. Dieses Verfahren der künstlerischen Aneignung von Wirklichkeit ist nicht allein durch den negativ besetzten Begriff eines »Eklektizismus« hinreichend beschrieben. Es hat im Hinblick auf kunstgeschichtliche Entwicklungen noch eine andere Dimension. Nur für den, der der Kunst mit einer Erwartungshaltung gegenübertritt, die einer elitären Ästhetik entspricht, existiert die Kunstgeschichte in einer linearen Entwicklung von einem Avantgardisten zum nächsten.
»Die wichtigste Aufgabe einer jeden Kunst ist es, das statische Gleichgewicht zugunsten eines dynamischen zu zerstören.«3
Die vitale Anlage in der Malerei von Nikolaus Hipp ist von einer emotionalen Breite, die nicht immer sofort ersichtlich ist. In den neueren Werken enthüllt sie sich erst in Phasen. Überraschende Gegenüberstellungen von strahlendem Licht und szenischen dunklen Farbtönen verleihen den Arbeiten eine Intensität des Ausdrucks, den man nicht in der formalen Tradition der modernen Kunst zuordnen kann, sondern mit einer anderen Begebenheit der Moderne sehen muss: Beschwörung und Magie, magische unendliche Flächen und flackernde Schatten wechseln sich ab. Ein sorgfältiger Farbauftrag garantiert Licht und Reflektierung mit mystischem Grundton. Dabei sind subtile Übergänge von grosser Wichtigkeit, die das Auge des Betrachters allmählich von einem Ton in den anderen führen. Nikolaus Hipp ist
ein Kundiger in phantastischen Träumen, angespornt von einer Phantasie jener absoluten Räume, die man in der Romantik des 19. Jahrhunderts findet – Felder, Himmel, Berge, Wälder –, ein lyrischer Künstler, der sich nach einer Immensität sehnt, die nur im Akt der Vorstellung vermenschlicht werden kann. Gegenstandslose Malerei als Konsequenz und kompromissloser Prozess vom Äusseren zum Inneren, von der Unmittelbarkeit zur Erinnerung, aktiv und neugierig ins neunte Lebensjahrzehnt voller Tatendrang und Freude.
Mag. Günter Bucher, Maler & Graphiker, Götzis – Wien
Im April 2018
1
Paul Michael Lützeler (Hg.): Hermann Broch, Novellen. In: Der Meeresspiegel. Suhrkamp Taschenbuchverlag, Frankfurt/Main, 1994
2
Rainer Crone: Lyrische Lebenswelten: Die Malerei von Nikolaus Hipp. Schnell & Steiner, Regensburg, 1998
3
Piet Mondrian: Wendy Beckett, Die Geschichte der Malerei. In: Circle (1937). DuMont, Köln, 1995
Informel – in der Tradition der Klassischen Moderne
Nikolaus Hipp – Kalender 2018
Mit erstaunlich vielen seiner Bilder schwimmt Nikolaus Hipp gegen den Strom. Dies ist bemerkenswert für einen Künstler, der sich in seinem anderen Beruf als Unternehmer natürlich nicht gegen den Strom stellt, sondern ihn allenfalls zu lenken versucht. Der künstlerische Ausdruck ist jedoch etwas völlig anderes – und betrachtet man den Lebenslauf des Künstlers, so stand die künstlerische Tätigkeit am Anfang und hat jede Lebensstation begleitet. Was Künstler überhaupt nicht ausstehen können, sind Schubladen, in die man sie – oder besser gesagt: ihre Werke – einordnen möchte. Doch wer einen Kunsthistoriker fragt, wie ein Werk oder eine Werkgruppe einzuordnen ist, darf nicht damit rechnen, mit Standardfloskeln abgespeist zu werden, wie man sie gerne liest, etwa, der Künstler schwelge in Formen und Farben. Worin denn sonst? Gemälde und Aquarelle sind gemeinhin aus Farben – aber Formen? Formen als Konturen verstanden, die einen Gegenstand zum Inhalt haben, sei er auch noch so abstrakt, derartige Formen findet man im Werk von Nikolaus Hipp nicht. Die Kunstgeschichte hat, ausgehend von der Moderne in Frankreich, den Begriff „Informel“ für vergleichbare Werke der gegenstandslosen Kunst geprägt. Hipp erfuhr seine künstlerische Ausbildung ab 1959 bei Heinrich Kropp. In diesem Jahr sah man erstmals alle bedeutenden deutschen Vertreter des Informel auf der (2.) documenta in Kassel, zwei Jahre zuvor bereits hatte es eine entsprechende Ausstellung im Münchner Lenbachhaus gegeben. Vergleicht man allerdings die Werke von Schüler und Lehrer, wird man schnell die Freiheit erkennen, denn Nikolaus Hipp hat nie Werke seines Lehrers nachgeahmt, sondern nur die Lehren genutzt.
Untypisch für viele Künstler sind nicht zuletzt die Formate: In der von der Kunstkritik beherrschten Debatte um die Gegenwartskunst müssen Bilder groß sein. Viele der von Nikolaus Hipp gemalten Bilder wollen dies aber gar nicht. Er liebt mittlere Formate, ohne dass dies eine Einbuße in der Bildstruktur oder Farbenpracht bedeutet.
Die Aquarelle sind frei gemalt, es gibt keine Vorzeichnungen, die durch die Farben nur besonders charakterisiert werden sollen. Die Idee einer Grundform entsteht daher nur im Kopf des Künstlers, und für die Umsetzung bleibt nicht viel Zeit, vor allem keine Möglichkeit zur Korrektur. Ist die Farbe auf dem Papier, gibt es kein Zurück mehr. Diese Arbeitsweise führt Nikolaus Hipp zu einer Vielfalt an Grundformen und farblichen Wirkungen. So folgen manche Bilder einem klaren Plan, doch manches entsteht auch ausgesprochen spontan. Das Papier reagiert sofort, die Lebendigkeit wird am Original noch deutlicher als die fotografische Reproduktion: Je nach Farbauftrag erzeugt das Papier Wellen und wird fast zu einem dreidimensionalen Medium.
Schwer kann man sich dem Gedanken entziehen, dass das Januar-Blatt mit dem dominierenden Blau tatsächlich in der kalten Jahreszeit entstand, doch bei den meisten Bildern verbieten sich solche Assoziationen, vielleicht noch abgesehen von den in gelblichen und roten Farben erstrahlenden Bildern für Juni und Juli. Doch wollen wir den Betrachter nicht auf eine falsche Fährte locken. Die Aquarelle sind natürlich nicht als Monatsbilder gemalt, um Blätter eines Kalenders zu füllen, sondern die vorliegende Auswahl entstammt einem sehr viel größeren Oeuvre aus mehreren Jahren. Tatsächlich erlauben die abstrakten Motive keinen Versuch, ein Aquarell mit einem Gegenstand oder einer Jahreszeit zu identifizieren, auch wenn man beim Bild für den Monat April unwillkürlich an Schmuck denken mag, dank der wie eine Halskette gerundeten Linie, unter der, vermittelt durch eine kleine blaue Perle, ein breites Band aufgehängt scheint, das nun aber seinerseits eher textil anmutet.
Viele Aquarelle erscheinen mehrschichtig und sind auch so gemalt. Am deutlichsten wird dies beim September-Bild, wo die geometrische Struktur in vorherrschendem Blau von einer dunklen Farbe überzogen ist, die sich wie auslaufende Wellen oder die Struktur einer Milchglasscheibe über das Blatt legt. Am strukturiertesten wirkt das für den Oktober vorgesehene Bild. Kleine bräunliche Vierecke fassen eine mittlere Bahn ein. Es ist das Blatt, das den Künstler im Monat seines 80. Geburtstags begleiten wird und es ist unentschieden zwischen ruhelosem Engagement und geregelten künstlerischen Bahnen.
Unterschiede in der Farbwirkung können sich vor allem durch das Präparieren des Papiers ergeben. Ist es trocken, lassen sich Farben in klaren Konturen nebeneinandersetzen, ist es angefeuchtet, erleichtert dies das Verlaufen der Farben und die Mischung miteinander. Professor Hipp arbeitet mit beiden Mitteln, die sich in der Bildwirkung gut unterscheiden lassen.
Dem Betrachter wird bald die ungegenständliche und dennoch formale Vielfalt, der Abwechslungsreichtum von Bild zu Bild und im Kalender von Monat zu Monat auffallen. Neben stärker geometrischen Motiven gibt es solche, die mit Kurven und Linien arbeiten und fast wie aus asiatischen Schriftzeichen entwickelt zu sein scheinen. Neben breiten Pinselstrichen in klaren Farben stehen Aquarelle mit verschwommener, ausfransender Kontur. Besonders auffällig sind einige Blätter, die mit dünnen Linien und ganz feiner Farbhöhung gemalt sind. Mit dieser Feinheit wird man, wohl nicht einmal beabsichtigt, an die Kunst der 1950er/ 60er Jahre erinnert, doch eben nur bei dem Blatt des Monats Dezember. Auf ganz andere Weise textil erscheint das Februar-Bild, das in der Bildmitte kleine Dreiecke in einer ungewöhnlich scharfen Kontur enthält, ein kurzes Ornamentband bildend, das so kein weiteres Mal unter den Aquarellen von Nikolaus Hipp zu sehen ist. Diese Vielfalt macht den besonderen Reiz seiner Aquarelle aus, die uns mit Vergnügen und Bilderpracht durch das Jahr führen.
Prof. Dr. G. Ulrich Großmann, Generaldirektor des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg
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Der Jahreskalender folgt einem Ordnungssystem von ehrwürdigem Alter, das Menschen aus Beobachtungen der Sonne, des Mondes, der Sterne und dem Wechsel von Wärme und Kälte, Nässe und Trockenheit abgeleitet haben. Astronomen und Meteorologen haben diese Beobachtungen immer mit allen Menschen geteilt, deren Arbeit vom Wechsel der Tages- und Jahreszeiten abhängig ist – und mit den Dichtern, Musikern und Malern, die der Schöpfung der Erde und des Kosmos huldigen. Wenn zwölf gemalte Bilder eines zeitgenössischen Künstlers die Monate vertreten, wecken sie in ihren Betrachtern Empfindungen, Stimmungen, Erinnerungen, Bewegungen in den Kreisen der Zeit, die ihr Leben bestimmen. Nikolaus Hipp aus Pfaffenhofen ist der Künstler. Er geleitet Sie durch das Jahr 2017.
Dieser erfahrene Maler (er hat mehr als tausend Werke geschaffen) führt den Pinsel so, dass alle Bewegungen vom Käfig des Rahmens weg in die Mitte der Bilder streben. Dort ist die Botschaft; und der Betrachter heftet sein Auge schnell auf diesen Brennpunkt. Keine lebhafte Pinselschrift unterhält ihn, die Ölfarben sind weich und zart aufgetragen, ihre Züge „bauen“ eine zentrale Gestalt.
Was ist das? Ein Gesicht? Ein Haus? Ein Berg?
In den Labors, in denen Geophysiker den Erdball beobachten, werden aus Satellitenaufnahmen im Zyklus der Jahreszeiten Farbdaten gesammelt und in Schemata festgehalten. Jener Satellit, der den 48. nördlichen Breitengrad umkreist, wird den größten Reichtum an Farben dokumentieren, wenn er über dem bayerischen Alpenvorland schwebt, einer vielfältig modellierten Landschaft von Bergen, Seen, Wildnis und Agrikultur unter bewegten Wolken. Dort lebt und malt Nikolaus Hipp. Und es mag vermessen, aber nicht unmöglich scheinen, den Blick aus dem Weltall auf seine Landschaft, die Impression, in der die Konturen, die Binnenzeichnungen in einem Farbschema schmelzen, mit seinen Bildern zu vergleichen. Nikolaus Hipp wünscht sich zweifellos einen Betrachter, der die Gemälde so, gelöst von jedem Abbild, wahrnimmt. Er hat sie deshalb sozusagen vom Schmutz der Welt befreit, aus der Aktualität der ästhetischen Grabenkämpfe herausgehalten und ihnen eine Aura der gegenstandslosen Unschuld gegeben, die sie zu Ikonen macht, die in jedem Haus eine Nische der Andacht fordern.
Seit Menschen den Weltraum bereisen und um das Weiterleben ihres Planeten bangen, hat auch der Wechsel der Jahreszeiten seine Selbstverständlichkeit verloren. So betrachten wir die Bilder dieses Kalenders auch wie sorgenvolle Blicke in den Himmel, in seine dichte, feuchte, farbengesättigte Atmosphäre, in Sonnenauf- und untergänge, in das silberne Licht des Mondes, in dichten Nebel, Schneegestöber und finstere Gewitter.
Im Ablauf eines Jahreskalenders könnten sie den Geophysikern als interstellare Signale für Monate dienen, widerspiegelten sie nicht die Freiheit eines Malers, der auftragslos in der stillen Lust der Improvisation fest umrissene und fließende Felder heller und dunkler, dissonanter und harmonierender, träger und aktiver Farben zueinander fügt. Wie ein niederländischer Stilllebenmaler des 17. Jahrhunderts sich nicht beeilen muss, um einen Strauß von Blumen zu malen, bevor er verwelkt, weil jede Blüte in seinem Gedächtnis haftet, so „hört“ der erfahrene „Musiker“ Nikolaus Hipp (er spielt Oboe) die Farben, die er erzeugt, als komponierte er das Klangbild eines Menuetts. Er hat die Jahreszeiten in seiner Heimat mit freudiger Teilnahme durchlebt, und so sind ihre Bilder auch Spiegel seiner Biografie, Selbstbildnisse: ich im März, ich im Oktober.
Der Hinduismus kennt das Wort „Darshan“ für die Übertragung von Energien, geistigen und seelischen Botschaften von einem Lehrer auf einen Schüler, einem Priester auf einen Gläubigen, von einem Heiligenbild, einem Mantra, einer Ikone auf einen andächtigen Betrachter. Die Vorstellung, dass ein Bild nicht gelesen, sondern empfunden, nicht neugierig befragt, sondern so betrachtet wird, als ob man dabei die Augen schließt, ist ein Wunsch, der mich vor den Gemälden des Nikolaus Hipp betroffen macht. Ich halte nicht für ausgeschlossen, dass der eine oder andere Betrachter vor diesen Blättern zu summen beginnt.
Prof. Dr. Wolfgang Becker, Aachen
Die Bilder zum Kalender 2016, seine „Lyrischen Lebenswelten“, gestaltete Nikolaus Hipp im Jahr 2015. Jedem Monat ist ein Bild zugeordnet.
Monatsbilder übers Jahr kennen wir seit Jahrhunderten, die meisten aus den mittelalterlichen Kalendarien, die kostbarsten wohl aus dem Stundenbuch des Herzogs de Berry der Brüder Limburg. Was ist nun der Grund, Monate bildlich darzustellen, nicht nur als Illustrationen in Büchern? Auch auf den Umfassungen großer Stadtbrunnen finden wir sie. Was ist überhaupt der Sinn eines Kalenders? Agenda heißt man ihn auch. Brauchen wir ihn nur, um das zu Erledigende, zu Tuende, so heißt ja wörtlich Agenda, festzumachen, weil uns die Zeit davon läuft?
Die Zeit sei ein „seltsam Ding“, meint die Marschallin im „Rosenkavalier“ von Strauß, bzw. von Hofmannsthal. Was ist das nur: Die Zeit?
Adalbert Stifter schreibt: „In der Zeit ist die Welt erschaffen worden. Was war die Zeit vorher? Was waren in der weltleeren Zeit die Billionen mal Billionen Jahre? Hat die Zeit selber einen Anfang gehabt? Wenn sie einen Anfang gehabt hat, so müssen wir uns vor dem Anfang der Zeit eine leere Zeit denken, also wieder eine Zeit, und vor ihr wieder eine.
Das verstehen wir nicht. Oder hat die Zeit gar nie begonnen, und ist sie immer da gewesen? Das verstehen wir auch nicht, wie den unendlichen Raum nicht. Was ist nun die Zeit?“
Immer wieder erschrecke ich, wenn ich im freundlich-festlichen Park von Schloß Nymphenburg in München einem barocken Standbild begegne. Es zeigt einen alten Mann, der einen Säugling auf den Arm gehoben hat und gerade dabei ist, dieses Kind zu verschlingen. Es ist Chronos, der griechische Gott der Zeit, der seine eigenen Kinder verzehrt: Ein Bild für die alles und jeden auffressende Zeit. Unerbittlich, unausweichlich und mißgünstig ergreift die Zeit ihre eigenen Kinder – die Zukunft – und verschlingt sie. Bedrohlich ist die Zeit. In jedem Augenblick führt sie mit mörderischer Sicherheit näher ans Ende, spricht vom Tod, zeigt den Schluß. An allem nagt schon der „Zahn der Zeit“.
Mit Hilfe einer genauen Beobachtung von Sonne, Mond und Sternen versuchten schon vor Tausenden von Jahren die Menschen aller Völker eine stabile Ordnung zu finden, um nicht in dieser endlosen Flucht der Zeiten haltlos weggerissen zu werden. Heilige Zeiten und heilige Orte, ihre festen Rituale, bieten hier Zuflucht und Sicherheit. Dazu braucht man eben Kalendersysteme, so unterschiedlich sie auch sind.
Der altgriechische Lyriker Pindar meint, allein die Feier der Eleusinischen Mysterien verhindere, dass die Welt ins Chaos stürze. Plato, Aristoteles, Augustinus und andere Philosophen sagen dies auch von der Musik. Ihre festgefügte Harmonie bewahre vor dem Zusammenbruch.
Der Kalender von Nikolaus Hipp zeigt übers Jahr hin zwölf Bilder. Auch die Mehrzahl der mittelalterlichen Kalender, bis in die Zeit des Barock und noch weiter, der sogenannten Aufklärung, strukturieren das Jahr mit den zwölf Monatsdarstellungen. Das Grundmuster bildet der Zodiak, der Tierkreis, mit den zwölf Sternbildern. Er begegnet uns schon im alten Mesopotamien und Ägypten. Diesen Zodiak haben die Christen übernommen und ihn freilich christlich getauft. Da sehen wir in zwölf Szenen die jahreszeitlichen Beschäftigungen, die Festfeiern und die Arbeiten. Jeder Monat hat quasi als Patron einen der zwölf Apostel, manchmal außerdem auch einen der zwölf „Kleinen Propheten“. Dem Geviert des Kosmos, der Welt, sind die zwölf Monatsnamen zugeordnet, dann die vier Jahreszeiten, auch Tag und Nacht, schließlich Gut und Böse in der Personifizierung von Tugenden und Lastern. In der Mitte des Gevierts steht eine männliche Gestalt, sie ist mit Annus, Jahr, oft noch mit dem Zusatz „Heilig“ in lateinischer und sogar in griechischer Sprache bezeichnet.
Eine derartige Jahresdarstellung erinnere ich besonders: Da zeigt dieser Mann in der Mitte eindeutig die Gestalt Christi. Geschrieben steht: „Sanctus Annus Christus“. In Christus ist die Zeit Heilszeit geworden.
Mit diesem „Herrn der Zeit“ führt der Weg des Menschen sicher in die Ewigkeit. Welch‘ ein Kontrastbild zum heidnischen Chronos!
Der frühgriechische Mythos erzählt dann weiter:
Damit der kleine Sohn Zeus überlebt, habe seine Mutter Rhea ihn in die Obhut der Mutter Erde gegeben. Genährt und aufgezogen hätten ihn dann Nymphen und Hirten.
Der Hauptberuf von Professor Hipp ist ja die Herstellung von Babynahrung, ausschließlich auf biologischer Basis. Die Früchte der Erde, auch der Tiere, sind für ihn nicht einfach Material zur Herstellung von Nahrungsprodukten. Er betont ausdrücklich: Das sind die Gaben der Schöpfung und des Schöpfers, der Verantwortung des Menschen anvertraut. Solches Denken prägt auch das für die Firma Hipp verbindliche Ethik-Management. Seit 1996 ist Claus Hipp auch Schirmherr der Münchener Tafel.
Die zwölf Bilder dieses Kalenderjahres sind Monatsbilder, wenn auch nicht gegenständlich-figurativ abbildend. Jedes Gemälde ist ein eigener Kosmos. Der Reichtum an Farben und Strukturen läßt sich nicht im schnellen Blick erfassen. Einen ganzen Monat lang läßt uns Nikolaus Hipp Zeit, um nur ein Bild zu betrachten. So führt er uns vom Sehen zurr Schauen. Als ich als Jugendlicher im Klavierunterricht etwa eine Sonate einstudierte, zwang mich meine erfahrene Lehrerin zunächst zum ganz langsamen Spiel. Erst so könne ich Gehalt und Gestalt der Komposition erspüren. Das richtige Tempo und der angemessene Rhythmus würden sich dann fast von allein finden lassen, meinte sie. Die Klavierschule für den Anfänger hatte den Titel „Vom inneren Hören“. „Vom inneren Schauen“ könnte ich auch die Sehschule von Nikolaus Hipp bezeichnen. Schon die Technik, mit Öl zu malen, bedingt lange Zäsuren. Der Maler muß geduldig abwarten, bis endlich die Farbe auf der Leinwand abgetrocknet ist, bevor er erneut Farbe auftragen kann, dies aber dann wohl überlegt. Heinrich von Kleist hat einem Aufsatz den Titel gegeben: „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Könnte dies nicht auch vergleichsweise für den Malprozeß von Nikolaus Hipp gelten?
Die Begegnung mit diesen Bildern ist ein dialogischer Prozeß, erst so wird das Werk als Kunst im Betrachter neu lebendig. So umschreibt es der Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini.
Zu jedem Betrachter mit je anderer Stimme spricht das Kunstwerk, weckt Erinnerungen oder regt zu Assoziationen an. Professor Hipp hat für diesen Kalender die Bilder natürlich nicht als bestimmte Monatsbilder, etwa als Mai- oder Dezember-Bild gemalt. Es lassen sich aber durchaus Zuordnungen so oder auch anders vornehmen. Wie gesagt: Zu jedem Betrachter mit je anderer Stimme…
Nikolaus Hipp schenkt uns Such- und Sehnsuchtsbilder: Arkadien? Orplid? Paradies? Oder wie er, fast als Ausnahme, ein Bild in der Münchner Frauenkirche betitelt: „Et vitam venturi saeculi“.
Zwölf Bilder für ein gutes Kalenderjahr 2016!
Friedemann Fichtl, Pfarrer und Kunsthistoriker, Bernried am Starnberger See

Nikolaus Hipp
Faszination Farbe
Nikolaus Hipp ist Farbmaler. Seine Gemälde sind abstrakte Farblandschaften in Oel auf Leinwand. Es sind Bilder, die unser Gefühl ansprechen und sinnlich-emotionale Empfindungen hervorrufen. Seit vielen Jahren wählt der Künstler aus deinem Werk jeweils 12 Motive aus, die unter dem Begriff „Lyrische Lebenswelten“ zu einem Jahreskalender zusammengestellt werden.
Das „Multitalent“ Nikolaus Hipp erlernte das Malen an der privaten Kunstschule von Heinrich Kropp in München und lehrt heute selbst als Professor für Malerei an der staatlichen Kunstakademie in Tbilisi in Georgien. Die Verwendung von Farbe, das Material und seine Wirkungen sind ihm wohlvertraut: „Jede Farbe leuchtet auf weißem Untergrund mehr“, „beim Malen erst helle Farben, dann dunkle“, „jeder Farbe weiss zugeben. Schwarz etwas Rot beigeben, dann wirkt es noch tiefer“. Diese und andere Gesetzmäßigkeiten hat er 2011 in einem Kompendium für Kunststudenten zusammengefasst und herausgegeben. Eine genaue Beobachtungsgabe, die Kenntnis der Technik sowie eine langjährige Erfahrung geben Sicherheit und ermöglichen Freiheit im Umgang mit den malerischen Mitteln. Hipp beschränkt sich bewusst in der Auswahl dieser Mittel: „Je weniger Mittel nötig sind, um so stärker die Aussage“, das heißt also, weniger ist ihm mehr.
Hipps Umgang mit Farbe und ihren Wirkungen beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Gestalten eines Gemäldes, sondern setzt schon viel früher an, in einem Moment, der dem Betrachter normalerweise verborgen bleibt. Am Anfang des Entstehungsprozesses steht dieser besondere Augenblick, in dem aus dem farbigen Pigmentpulver und Malmitteln erst die vermalbare Farbe wird. Es ist ein kreativer Akt, der durchdacht und vorbereitet werden muss. Bis daraus dann Lyrische Lebenswelten werden, bedarf es noch Einiges mehr.
Nikolaus Hipps Malerei hat einen zeitlosen Charakter. Sie wirkt direkt und ohne Umwege, spricht jung und alt gleichermaßen an und besitzt jene Ausdruckskraft, die es dem Betrachter erlaubt, sich selbst in ihnen zu finden. Vor allem Kinder haben noch diese grenzenlose, unverbildete Vorstellung, die sie ohne Zögern in seinen Bildern Lebewesen, Landschaften, Architektur und Naturereignisse sehen lässt. Die starke Wirkung, die von seinen Gemälden ausgeht, resultiert aus dem gelungenen Zusammenspiel von Form und Farbe. Die emotionale Einbindung des Betrachters ist so groß, dass sich kaum jemand diesen Farbwelten entziehen kann. Der erste Einstieg in das einzelne Werk passiert immer über die Farbe, ihre unvermittelte Wirkung bleibt nicht aus.
Das Schaffen von Nikolaus Hipp wird als anregend und zugleich beruhigend empfunden, eigentlich ein Gegensatz, wenn man versucht, die Temperamente gleich zu setzen. Fasst man sie unter dem Gesichtspunkt der Temperatur eines Bildes auf, so ergänzen sie sich, antworten aufeinander, gehen Dialoge miteinander ein. Die „abstrakten Klassiker“ von Nikolaus Hipp assoziieren überwiegend Naturerscheinungen und besitzen Analogien zur Musik. Sie wirken innerlich vollkommen und in Form- und Farbausdruck als Einheit. Inhaltsvolle Geistigkeit, transzendentes Erleben und ein mystischer Charakter werden ihnen zugeschrieben – Eigenschaften,
die unser Unterbewusstsein ansprechen.
So korrespondieren die einzelnen jahreszeitlichen Blätter in diesem Kalender mit denjenigen Stimmungen in der Natur, die wir kennen. Farben wie Gelb, Rot und ihre Mischungen suggerieren Wärme und Nähe; Kälte und Distanz dagegen Blautöne.
Wassily Kandinsky hat im Zusammenhang mit Farbgegensätzen von dem innerlichen Charakter der Farbe gesprochen, der eine seelische Wirkung im Betrachter erzeugt. Dem Gelb – für Kandinsky eine typisch irdische Farbe – ist das Blau als ihr jenseitiger Gegenpart gegenübergestellt. Nikolaus Hipp bedient sich dieser Farbwirkungen und steigert ihre Leuchtkraft über die Kontraste. Ihre Stimmungen erlauben dann letztlich auch die Zuordnung zu einem bestimmten Monatsbild.
Die gleichzeitige Passivität und Aktivität der Farben sowie das spannungsvolle Kompositionsgerüst sind Garanten für eine schlüssige Bildaussage. „Nicht die Art des Schaffens zählt, sondern das Ergebnis“, sagt Nikolaus Hipp. Und an anderer Stelle kann man lesen: „Harmonie heißt, Unterschiede in einen Gleichklang bringen“.
Er hat sich dies auch für sein ganzheitliches Lebenswerk auf die Fahnen geschrieben. Dem einfühlsamen und penibel arbeitenden Maler und Musiker, dem erfolgreichen Unternehmer, dem Privatmenschen Nikolaus Hipp nähert man sich mit unumwundener Hochachtung. Und trifft dabei auf einen liebenswerten Menschen, der Spiritualität in der Gesamtheit aller Lebenserscheinungen sucht und findet. So sind die „Lyrischen Lebenswelten“ nicht nur poetische Jahresbilder, sondern in ihnen schwingt immer dieser Moment des Metaphysischen, des nicht Erklärbaren, mit.
Dr. Sabine Heilig
Kunstverein Nördlingen

Nikolaus Hipp in der Welt am Sonntag (29.11.2013):
„Ich verramsche meine Bilder nicht“
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Abstrakte Kunst. Bilder der Seele.
Die klassische Bildbesprechung geht vom Kunstwerk selbst aus und nicht vom Künstler und seiner Intention. Abstrakte Bilder aber sind Bilder der Seele. Der Maler will uns aus einer subjektiven, oft spontanen Befindlichkeit heraus eine emotionale Botschaft vermitteln. Will man diese Botschaft nachempfinden, muss man sich erst einmal mit der Person des Künstlers beschäftigen, mit seiner Mentalität, seiner Einstellung und den Einflüssen, denen er ausgesetzt war. Erst dann ist die Interpretation eines abstrakten Bildes überhaupt möglich. Auch ist der Weg zum Verständnis über den Künstler und sein oft ereignisreiches Leben meist viel interessanter, als nur vom Kunstwerk selbst auszugehen.
Wenn man weiß, welche Erlebnisse, Neigungen und Intentionen beispielsweise Poliakoff beschäftigt haben, kann man verstehen, weshalb er so gemalt hat und nicht anders. Wenn es Brüche in den Stilrichtungen im Werk abstrakter Künstler gibt, was häufig vorkommt, steht man zunächst vor einem Rätsel. Anhand von wesentlichen Einschnitten im Leben des Künstlers, die oft mit einem Stilwandel einhergehen, kann man das dann meist recht plausibel nachvollziehen. Nicht die tradierte Bildbesprechung ist der Schlüssel zur Interpretation abstrakter Kunst, sondern die Künstlerbesprechung.
Die biografische Werkserklärung wird von einigen Malern und Kunsthistorikern allerdings auch angezweifelt. So sagte Gerhard Richter in einem Spiegel-Interview im August 2005, dass „biografische Details nur bedingt (zum Werkverständnis) beitragen“. Auf sein berühmtes Bild „Betty“ von 1988 angesprochen, die das Gesicht vom Betrachter abwendet, gibt er allerdings eine sehr persönliche Erfahrung als Erklärung ab, ohne die man das Bild nur wegen seiner hohen handwerklichen Qualität bewundert: Das abgewandte Gesicht seiner Tochter sei Ausdruck seiner Trauer darüber, dass auch er im Zuge der seinerzeit üblichen antiautoritären Erziehung das Kind zu sehr sich selbst überlassen habe.
Claus Hipp malt abstrakt. Auch seine Bilder sind Bilder der Seele, vermitteln uns eine emotionale Botschaft. Ein wenig nachempfinden können wir sie dann, wenn wir uns mit dem Umfeld und der Persönlichkeit des Menschen Claus Hipp beschäftigen.
Claus Hipp ist Doktor der Rechtswissenschaften, Professor für Betriebswirtschaft und Malerei. Er führt seit Jahrzehnten die erfolgreichste Marke im Bereich der Babynahrung. Als Verantwortlicher für Markenführung weiß Claus Hipp, dass ein konstantes und diszipliniert durchgehaltenes Erscheinungsbild, eine der Wurzeln des Markenerfolges ist. Auch die Bilder von Claus Hipp (Künstlername Nikolaus Hipp) haben eine erkennbare Handschrift, quasi einen Konzeptrahmen, den er nie verlässt und nur sehr behutsam weiterentwickelt. Bilder von Hipp sind unverkennbar, unverwechselbar und unterscheiden sich. Sie haben eine Identität, die man auf den ersten Blick erkennt.
Claus Hipp ist überzeugter und visionärer Ökologe. Wer einmal eine Führung durch Hipp’s Biobauernhof erlebt hat versteht, warum seine Produkte das Etikett Bio mehr als alle anderen zu recht fragen. Bilder von Claus Hipp vermitteln eine idealtypische, visionäre, hoch ästhetisch, heile Welt. Eine Welt, die es zwar nicht gibt, aber die man sich wünscht.
Claus Hipp ist auch Musiker, spielt Oboe und Englischhorn und ist Mitglied eines Orchesters. Dieses Talent teilt er mit vielen abstrakt arbeitenden Künstlern. Kandinsky, der bedeutendste Pionier der abstrakten Kunst, hat zeitlebens neidvoll auf das Komponieren von Musik geschaut. Als Mitbegründer einer damals neuen Kunstrichtung, wollte er seine innere Welt zum Ausdruck bringen, was, wie er sagte, der Musik als der „unmateriellsten Kunst“ längst gelungen war. Kandinsky hat nach eigenem Bekunden für seine abstrakten Bilder die gleichen Mittel eingesetzt wie beim Komponieren von Musik und sein Werk als „Farbmusik“ bezeichnet. Auch die späteren Ikonen abstrakter Kunst drücken bildhaft aus, wozu sie Musik anregte: Jackson Pollock etwa, der zu Swing von Duke Ellington seine Leinwände besprühte oder Serge Poliakoff, der bis zu seinem 52. Lebensjahr erst Musiker und dann erst Maler war, oder Ernst Wilhelm Nay, A. R. Penck usw., alle mit einer hohen Affinität zur Musik. Die lyrisch-abstrakten Bilder von Claus Hipp sind rhythmisch gemalte, visuelle Musik. Mich erinnern sie an die heiteren Symphonien von Haydn oder die späteren Klavierkonzerte von Mozart.
Ja – und schließlich scheint in den Bildnern von Claus Hipp seine sympathische, unprätentiöse, charismatische und soziale Persönlichkeit durch: Bilder voller Poesie, die in eine bessere, schönere unbeschwerte Welt einladen. Sehen Sie sich den neuen Kalender mal in Ruhe an, legen eine CD auf und genießen entspannt die Kunst von Claus Hipp. Das Leben ist schön.
Dr. Peter Haller
Geschäftsführer Serviceplan Gruppe
Künstlerisches Schaffen seit vielen Generationen
Nikolaus Hipp erhielt seinen ersten Malunterricht von seinen Eltern. Sein Vater verdiente mit 14 Jahren sein erstes Geld durch den Verkauf eigener Bilder im Münchner Glaspalast. Großvater, Urgroßvater und Ur-Urgroßvater haben als Liebhaber schöne Bilder gemacht. Seine Mutter, die aus der Schweiz kommt, entstammt einer Familie mit langer Maler- und Kunstmäzenaten-Tradition. So finden sich Kirchen-, Landschafts-, Dekorations- und Glasmaler. Vom Vater stammt für Nikolaus Hipp die enge Beziehung zur Landschaftsmalerei und zum Zeichnen, wobei er ihm vor allem dankbar ist für eine frühe Ausbildung im perspektivischen Denken und Zeichnen. Die Mutter hat Nikolaus Hipp schon früh angehalten, nichtgegenständliche Themen aus Religion und Philosophie umzusetzen.Sehr viel verdankt Nikolaus Hipp auch seiner Kunstausbildung am Münchner Ludwigsgymnasium, die weit über das übliche Maß hinausging. Die entscheidende Ausbildung erhielt er durch den Münchner Maler Heinrich Kropp, bei dem er Meisterschüler war. Dieser führte eine staatlich anerkannte Malschule, und Nikolaus Hipp war sein letzter Schüler, den er viele Jahre noch privat unterrichtete.
Nikolaus Hipp, der selbst seit vielen Jahren unterrichtet, hat seine Grundsätze für die Studenten in dem Buch „Es ist einfach, aber nicht leicht“ zusammengefasst. Vor diesem Hintergrund werden wir in den Werken von Nikolaus Hipp sowohl Gedanken aus der nicht geschauten Welt finden können als auch immer wieder eine handwerklich solide, fundierte Ausdrucksweise treffen.
Das exzellent Handwerkliche allein ist aber bei Weitem nicht alles, was wir bei Nikolaus Hipp finden werden, wenn wir uns auf seine Bilder einlassen. Immer wieder stelle ich fest, dass die Bilder gleichzeitig eine anregende wie auch eine beruhigende Wirkung auf den Betrachter haben. Alle Bilder, so unterschiedlich sie auch auf den ersten Blick scheinen mögen, haben eine starke und tiefe Dimension, die automatisch den Blick auf sich zieht und ihn festhält. Das habe ich immer wieder bei Besuchern bei mir in der Botschaft festgestellt: Wir haben dort einige bedeutende Bilder im Eingang hängen. Bisher hat sich noch kein Besucher gelangweilt, auch wenn er einmal warten musste, und kaum einer fängt nicht an, zuerst über die Bilder zu reden, auch wenn er eigentlich ganz andere Anliegen hat.
2011
Gabriela von Habsburg
Vom Gedanken an den Regenbogen zur Harmonie mit der Umgebung
Im Unterschied zur Politik, die oft lokal ist, ist die Kunst stets global. Der Geschmack in der Kunst und die Beziehung zum gemalten Bild sind individuell, in gewissem Grad erzählt es von der persönlichen Anschauung und dem Selbsterlebten.
Der Betrachter und der Sammler unterscheiden sich durch die jeweiligen Bewertungskriterien voneinander: Was den Betrachter anbelangt, so gefällt ihm entweder das jeweilige Gemälde oder aber nicht. Der Sammler hingegen möchte ein konkretes Bild besitzen. Die Gemälde von Nikolaus Hipp gehören für mich zu der Kategorie „Mögen“. Danach kommt die zweite Reihe von jenen Merkmalen, die unmittelbar vom Leben des Gemäldes erzählen und die persönliche Beziehung zwischen dem Bild und dem Besitzer bestimmen. Es ist eine Sache, ein Bild im Lager an die Wand zu stellen. Eine andere ist es, für ein Bild einen geeigneten Platz im Schlaf- oder Arbeitszimmer auszuwählen. Ohne falsche Übertreibung und mit bewusstem Egoismus kann ich sagen, dass ich mir gerne ein Gemälde von Nikolaus Hipp in meinem Arbeitszimmer, in dem ich viel Zeit verbringe, wünschte. Es ist nicht die Rede davon, dass diese Gemälde beliebige, moderne Kunstgalerien und Museen verzieren würden.
Meine Begeisterung hat zahlreiche Gründe, von denen ich einige aufzählen möchte: die „Echtheit“ des Werkes, der Inhalt, die persönliche Sprache, die Harmonie der Farben.
Kein Werk von Nikolaus Hipp ist erfunden. Sie sind alle „echt“ und vom Autor tief selbst erlebt. Diese Erlebnisse werden durch eigene, spezifische Techniken auf die Fläche übertragen.
Seine Gemälde zählen zur Kategorie der abstrakten Kunst. Für mich sind die Bilder vielmehr Konstruktion als Abstraktion. Ja, denn der Künstler malt nicht nur, sondern konstruiert (inszeniert) seine Werke vielmehr.
Bei mir bleibt der Eindruck, dass der Maler die durch Sonnenschein, form- und farblose, blendende Hauptidee (Motiv) durch ein dreieckiges Prisma geschickt hat. Die Farben des Regenbogens hat er in kleine Teile zerlegt und anschließend damit begonnen, eine originelle Idee nach seiner Art umzusetzen. Diesen Prozess versteht er so zu führen, dass im Ergebnis die entstandene Harmonie – ausgehend vom Gedanken des Regenbogens – erhalten bleibt. Gerade durch die gebaute und mosaikartige Ausführung der Kunst ist das Werk von Nikolaus Hipp nicht als dekorativ zu bezeichnen.
Jedes seiner Werke zeichnet sich durch ein individuelles Leben aus. Bemerkenswert ist, dass keines der Werke sich inhaltlich wiederholt, auch nicht in der malerischen Umsetzung.
Es ist nicht einfach, ein abstraktes Werk als vollendet zu bezeichnen, seine Gemälde hinterlassen dennoch ein Gefühl von Vollkommenheit. Der angedeutete Kreis ist geschlossen, und auch die Idee ist vollständig dargestellt.
Über die innerliche Vollkommenheit und Einheit hinaus haben die Gemälde von Nikolaus Hipp einen mystischen Charakter: die Harmonie mit der Umgebung. Aus diesem Grund fällt es seinen Bildern nicht immer leicht, sich mit ihren Bilderrahmen zu arrangieren. Jegliche Beschränkung seiner Gemälde – direkter und indirekter Art – durch das Einrahmen des Bildes reduziert und beeinträchtigt die Wahrnehmung und Wirkung. Gleichzeitig ist jedes seiner Werke ausdrucksvoll, was im Hinblick auf den Künstler, der sich vom deutschen Expressionismus inspirieren lässt, nicht überrascht. Die Vielfalt seiner Werke zeichnet sich durch Farbwechsel und Variationen aus und bildet meines Erachtens die Basis, die Werke in der oben erwähnten Kunstrichtung als inneren Ausdruck des Künstlers zu werten.
Das scharfsinnige Auge kann in seinen Werken sakrale Zeichen als untrennbaren Teil des Bildes erkennen. Ich weiß nicht genau, ob es die magische Kraft von Symbolen oder vom Schaffen selbst ist, die die Gemälde so anziehend machen, obwohl sich hinter jedem Werk grenzenlose Arbeit und Gedanken verbergen. Für jene, die Nikolaus Hipp persönlich kennen, ist ein solches Engagement und seine Zielstrebigkeit nicht verwunderlich. Überraschend ist allerdings, dass man solche Gefühle schon vor dem Kennenlernen des Malers empfindet. Tatsache ist, dass die Botschaft des Malers und dessen Interpretation ohne Zwang selbsterklärend und einfach wahrzunehmen ist. Wie Hipp selbst sagt: „Es ist einfach, aber nicht leicht.“ Von meiner Seite möchte ich nur ein Sprichwort hinzufügen: Alles, was genial ist, ist einfach. So ist es zu erklären, dass von Nikolaus Hipp lokal erfühlte Erlebnisse als Werke der globalen Kunst zu sehen sind.
2010
Temur Yakobashvili
Kunstsammler und Georgischer Minister für Reintegration
Phantasieanregende Farbraumkosmen des Wohlbefindens
Zwölf Mal in diesem Jahr werden wir einen ersten neugierigen Blick auf Nikolaus Hipps minimalisierend klar erzeugte Malerei mit deren sinnlich bewegten Farbräumen werfen dürfen und uns sofort emotional in sie hineinbegeben: Die Malerei des international agierenden Künstlers Nikolaus Hipp, am 22. Oktober 1938 in München geboren, Meisterschüler von Heinrich Kropp, Jurist und Professor an der staatlichen Kunstakademie Tbilisi, Georgien, seit 2003 Lehrbeauftragter an der Akademie Bad Reichenhall und Geschäftsführer seines Familienbetriebes, überrascht uns immer wieder mit deren stilistischem Reichtum, „… gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ (Paul Klee). Die Vielfalt von Hipps Tätigkeitsbereichen spiegelt sich auch in seiner Freude an der Gestaltung in unterschiedlichsten Medien wie Lithographie, Aquarell, Malerei, Bildhauerei und Bühnenbild wider. In seiner Kunst finden sich alle Eindrücke der täglichen Ereignisse in seiner gelebten Welt, übersetzt in verdichtete Bildkosmen, wieder: das Treffen eines unbekannten oder der Umgang mit einem vertrauten Menschen, die Musik, die Lektüre.
Nikolaus Hipp spricht in einer klaren Sprache zu uns: Jedes Werk, auf dem unser Blick in den Kalender einen Monat lang verweilen darf, vermittelt uns emotional berührende Bildraumerfahrungen, spricht unsere Sehnsüchte nach Licht, Ausgeglichenheit und Weite an, zieht uns in seine berauschenden Farbraumwelten hinein. Jeden Monat haben wir einen neuen Einblick in die Wirkungsmöglichkeiten der Grundbausteine der Malerei selbst, in abstrahierte Erzählungen über Dualitäten moralisierender Fabeln, deren Titel lauten könnten: „Gut und Böse“, „Ein kleines Licht kann die größte Dunkelheit durchbrechen“, „Harmonie der Gegensätze“, „Sichtbarmachen des Unsichtbaren“, „Kosmos und Chaos“, „David und Goliath“ (Titel von Hipps Aufgabenstellungen für seine Studenten). Doch die Werke tragen keine Titel, damit wir in unseren Interpretationen nicht geleitet werden und uns den Farbkosmen öffnen, neugierig schauen, detailliert beobachten, den Wert der Langsamkeit entdecken!
Wir begeben uns mit Nikolaus Hipps Werken das ganze Jahr über auf eine imaginäre Reise in lichtdurchflutete Welten – jeder mag diese für sich anders empfinden: als lichte Welten der Erkenntnis, der Güte, des Wohlbefindens. Wir erleben ein barockes Raumgefühl der Weite, atmen Freiräume der Großzügigkeit und der Öffnung zum Licht, in denen die Elemente optisch zum Schweben gebracht werden: Eine Leistung, für die Hipp, aus einer Malerfamilie stammend, deren künstlerische Tätigkeit sich bis in die Gotik zurückverfolgen lässt, aus Generationen und eigener, stetiger und jahrelanger Erfahrung zehrt. Der Künstler verliert sich nicht in Kleinstarbeit, behält das gesamte Werk im Blick, weiß Entscheidungen zu treffen. Seine Leidenschaft für Pigmente, für die Kraft der Farbe spiegelt sich in spannungsreichen und subtilen Farbwelten, die uns in die Höhen des Firmaments, in die Tiefen der Finsternis, in die Harmonie der Stille, die Dramatik der zerstäubenden Kräfte führen. Die verschiedenen Bausteine seiner Bildsprache kommunizieren miteinander, geben eine optische Kontinuität, schaffen insgesamt ein zusammenhängendes Ganzes, bieten einen komplexen, dynamischen, mit Bewegungspotential überfluteten Bildraum, einen Kosmos voller Kontrapunkte und Lebendigkeit. Die Verhältnisse sind auf den ersten Blick so komplex aufgebaut, dass es der Orientierung durch zeitintensives Betrachten bedarf und den sinnlichen Genuss an jedem Tag, an dem wir auf ein Werk schauen, garantiert!
Hipps spielerisches Zusammenstellen der Bildwelt zu einer Art Portrait der Gefühlswelten, sein Einsatz der Farbe und des Volumens, des klassischen Verhältnisses der Form zum Bildgrund bzw. -raum, so wie es unsere Sehgewohnheiten und -erfahrungen in der gelebten Welt nahelegen – sein Changieren zwischen Hell und Dunkel, Tiefe und Relief, sein Spiel mit Licht und Leere, seine verriebenen und damit verschwommen wirkenden Konturen der Formen, eine gewisse Transparenz durch den sehr dünnen, mageren Farbauftrag, seine starke Dynamisierung durch entgegengesetzte Bewegungsrichtungen im Gesamtbildraum, seine präzise Positionierung nur weniger Farben und Formen in eine imaginative Raum-Zeit-Koordinate, seine aufeinander abgestimmten, in minimalen Nuancen sich subtil verdunkelnden Farben, die das Leuchten und die atmosphärische Wirkung im Werk insgesamt verstärken: Das alles macht seine ganz persönliche Bildsprache aus. Mit dieser Sprache der Präzision und gleichzeitig der Leichtigkeit offeriert uns der Künstler eine ausbalancierte, auf die notwendigsten Elemente reduzierte Komposition, in der Energieimpulse vibrieren und sich Ruhezonen Raum schaffen, in der unzählige Spannungsfaktoren wirken, die nicht auf den ersten Blick in Worte zu fassen sind, aber sofort gefühlt werden und zum genauesten visuellen Abtasten des Bildraums, zum Verweilen vor dem Bild anspornen: Jeder Monat wird mit diesem Kalender mit Werken von Nikolaus Hipp zu einer einmaligen Erfahrung leiser, harmonischer Ausgeglichenheit, zu einem optischen Erlebnis der Leichtigkeit und der Lebendigkeit!
2009
Dr. Marta Cencillo Ramírez
Farbpoesie für einen guten Jahresumlauf
Von den vielen Hipps, aus denen sich die Person Claus Hipp zusammensetzt – etwa aus dem Unternehmer, dem Wirtschaftsführer, dem ökologischen Vorreiter – war mir einer zwar nicht immer am wichtigsten, aber mit Sicherheit stets am liebsten: Nikolaus Hipp, der Künstler. Die fast ausnahmslos unbetitelten und doch so eigenständig-individuellen Gemälde, die sich zu den Hipp‘schen Lebenswelten zusammenfügen, beeindrucken durch die in ihnen liegende Ruhe, durch den Form gewordenen Ausdruck von Gefühlen aus unserem tiefen Inneren. Das bleibt nicht unbemerkt: Nikolaus Hipps Werke wandern heute durch zahlreiche Ausstellungen auf der ganzen Welt. Diese verdiente Anerkennung freut mich außerordentlich.
Es ist wahrscheinlich schwer zu sagen, ob Nikolaus Hipp sich seine Kreativität im beruflichen Alltag aus der künstlerischen Begabung holt oder ob sein vielseitiges Engagement und seine umfangreichen Interessen neue Ausdrucksformen auf der Leinwand finden. Fest steht: Er ist ein uomo universale, wie er der Renaissance als Ideal gegolten hat. Denn zum praktischen Leben in der Gesellschaft gehört die Kunst als Essenz dazu. Schon während seines Jurastudiums absolvierte Hipp eine künstlerische Ausbildung bei Professor Heinrich Kropp an der Münchner Kunsthochschule, am Ende als dessen Meisterschüler. Paragraph und Pinsel – ein Bruderpaar mit reizvollen Konturen!
Beim Betrachten der Bilder von Nikolaus Hipp geht es einem ähnlich wie im Gespräch mit dem Künstler: Schrittweise lassen sich immer weitere Nuancen entdecken. Immer feinere Facetten dringen ans Licht – und mit diesem Licht vermag der Maler auf famose Weise zu spielen. Dezentere Farben, gedecktere Töne sind es, die uns in diesem Kalender offeriert werden. Und doch vermögen diese Farben zu strahlen, schimmert das Licht durch Ritzen, sucht sich seinen Weg. Optimismus und Zuversicht sind spürbar, stellen sich auch beim Betrachter ein. Die Pinselstriche sind Fingerzeige: Jedes Jahr, jeder Monat und jeder Tag ist lebenswert. Wer daran erinnert oder darin bestärkt werden möchte, hat hier an diesmal 366 Tagen Gelegenheit dazu.
2008
Dr. Thomas Goppel
Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst
Grußwort des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt München
Wer „nur“ malt, ist Maler. Das ist reichlich unpräzise, sichert aber immerhin entweder den Respekt vor einem Handwerk oder sogar die Hochachtung vor Kunst als Profession. Wer hingegen „auch“ malt, steht unter einem schrecklichen Verdacht: Da könnte es doch sein, dass einer sein Hobby pflegt und mit den höheren Weihen der Kunst ausstatten will.
Nikolaus Hipp hat das Glück, im aktuellen Zusammenhang sollten wir aber eher von Pech reden, ein erfolgreicher und namhafter Unternehmer zu sein. Da – und nur da – ist er ein echter 68er, denn im Jahr 1968 trat er in die Geschäftsführung des allseits bekannten Familienunternehmens ein, in Oberbayern ist er zudem noch als langjähriger früherer Präsident der Industrie- und Handelskammer hoch angesehen.
Und außerdem malt er. Außerdem? In Wahrheit ist Kunst schon lange Maß und Mitte seines Lebens, er beschäftigte sich schon in seiner Jugend intensiv mit Bildhauerei, ließ sich neben dem Jurastudium künstlerisch ausbilden und wirkte als Kunsterzieher, seit 2001 auch als Kunstprofessor, und zwar in Georgien, wo er sich für die künstlerische Verständigung zwischen West und Ost engagiert. 2003 kam ein Lehrauftrag an der Akademie in Bad Reichenhall hinzu. Die Zahl seiner Ausstellungen im In- und Ausland ist legendär, bedeutendste Museen waren schon seine Ausstellungsräume. Eine stattliche künstlerische Biographie – wäre da nicht der noch verbreitertere Name des Unternehmens und der Unternehmerpersönlichkeit. Aber warum soll es nicht auch diese Art von Doppelbegabung geben? Die Bilder von Nikolaus Hipp haben es verdient, so gewürdigt zu werden, als würden wir vom Künstler nichts wissen, außer dass er ein Künstler ist.
Seine Bilder spiegeln höchst unterschiedliche Stimmungen wider, von Ruhe bis Erregung. Sie sind manchmal von vitaler Farbigkeit, manchmal von dezenter Schlichtheit im Aufbau der Farbkomposition. Sie können effektvoll sein und auch spröde, können sich in blendender Helligkeit präsentieren oder geheimnisvoll leuchten im Dunkeln. Stets aber haben sie eine unverwechselbare Handschrift, gekennzeichnet durch den Verzicht auf jede Gegenständlichkeit oder Dominanz der Form, durch die Kraft der oft flirrenden Farbigkeit, durch Unschärfen in der Formgebung als Stilmittel, durch die Materialität der Farben und oft auch der Leinwand, die man durchschimmern sieht.
So erreicht der Künstler beides: eine große Bandbreite seiner Arbeiten, die er treffend „Lyrische Lebenswelten“ nennt, wie auch die Unverwechselbarkeit seiner Herangehensweise an die Themen seiner Kunst.
2007
Christian Ude
Gedanken zu „Lyrischen Lebenswelten“ von Nikolaus Hipp
„Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“, heißt es bei Joseph von Eichendorff. Ich habe dieses Gedicht vorangestellt, weil Nikolaus Hipp auch ein Romantiker ist, denn er versteht es, mit Farben und Formen Zauberwörter auf die Leinwand zu schreiben, die ein Lied singen von den Jahreszeiten, von den Elementen oder von phantastischen Inseln, die man mit den Augen besuchen kann, um dort Kraft zu schöpfen.
Und jedes Bild „hebt an zu singen“, wenn es einen Betrachter findet, der diese Zauberworte zu entschlüsseln versteht. Ja, diese Bilder singen und haben in der Tat viel mit Musik zu tun. Manche Strukturen können Töne repräsentieren, die sich miteinander zu einer Melodie zusammenfinden. Und auch die Farbigkeit suggeriert Musik: Ein tiefes Blau, das sich zurückzieht, kann den tiefen Ton eines Cellos andeuten, während ein helles Zitronengelb in den Vordergrund sticht und an die hellen Töne einer Geige erinnern kann. Nikolaus Hipp, der selbst Oboe im Münchner Behördenorchester spielt, malt eben auch Klangfiguren in seine abstrakten Bilder.
Bereits Kandinsky stellte fest, dass ein Musiker sehr wohl eine Morgenstimmung komponieren könne, ohne dabei einen Hahn krähen lassen zu müssen. So können eben auch abstrakte malerische Formen, in vielerlei Farbigkeit, einen Morgen, einen Sommertag oder die klirrende Kälte des Winters zum Ausdruck bringen, ohne dass Hahn, Sonne oder Skiläufer abgebildet werden müssen.
Hier sind wir nahe bei den Bildern von Nikolaus Hipp, denn, betrachtet man die Jahreszeiten-Bilder dieses Kalenders, so erkennt man zwar keine realistisch gemalten Figuren, aber man spürt, dass Grau oder Grau-Blau in den Winter- und Frühlingsmonaten vorherrschen und sich die Farbe erst allmählich immer mehr Bahn bricht. In den Übergangsmonaten März und April leuchtet Forsythien-Gelb und Krokuss-Violett aus dem umgebenden Grau hervor. Im Oktoberbild symbolisieren die horizontalen Schalenformen in ihrem satten Gelb und Orange-Rot die reiche Ernte. Und ist nicht das Dezemberbild besonders festlich, und die Farben streben wie die Orgeltöne bei einer Fuge von Johann Sebastian Bach in reicher Pracht dem Himmel entgegen?
Nikolaus Hipp deutet an, gibt die Tonlage vor, aber er tut dies wie ein sensibler Seismograph. Er schafft mit seinen Bildern feine Aufzeichnungen von Stimmungen in der Natur, die wir aber selbst lesen und interpretieren sollen. Und gerade weil diese Bilder abstrakt sind und keinen Titel haben, lassen sie uns viel Raum für die eigene Phantasie.
„Lyrische Lebenswelten“ von Nikolaus Hipp geben uns Kraft für die weniger lyrischen Lebenswelten, in denen wir uns ja auch immer wieder aufhalten müssen! Deshalb sind diese Bilder nicht provokant, sondern harmonisch, sie schreien nicht in lauten Farben, sondern klingen in wenigen, ausgewogen zueinander gesetzten Tönen; sie bewegen sich nicht aggressiv über den Bildrand hinaus, sondern Formen schweben im eigenen Bildkosmos, ohne aus der Ruhe gebracht werden zu können.
Immer fühlt der Maler sich durch Stimmungen in der Natur angesprochen und antwortet malerisch darauf; dabei hält er ihre Bildekräfte fest: z. B. das dynamische Wirken von Wind, Wasser, Sonne und Luft. Und oftmals ist seine Pinselführung genauso dynamisch, weil sie Wehen, Fließen, Lodern oder Flimmern suggerieren soll.
Nikolaus Hipp setzt mit seiner Malerei fort, was Willi Baumeister, Fritz Winter und Hans Hartung in den vierziger und fünfziger Jahren begonnen haben. Konsequent bleibt er der abstrakten Bildsprache treu, weil er weiß, dass es Phänomene zwischen Himmel und Erde gibt, die sich anders gar nicht ausdrücken lassen, weil sie mit realistischen Mitteln nur unzureichend wiederzugeben sind.
Der Maler schafft mit seinen Farbwelten Fluchtmöglichkeiten aus der Alltagswelt. All diese Bilder sind Inseln für das Auge, die in jedem Zimmer, in dem sie sich befinden, Wunder wirken können. Man kann durch sie die schwere Erdgebundenheit für Momente fliehen und in eine spielerische Leichtigkeit auf der Bildfläche eintauchen. Versuchen Sie es und lassen Sie sich überraschen, denn es „schläft ein Lied“ in allen Bildern, wenn man nur das Zauberwort findet.
2005
Dr. Martina Marschall
Kunsthistorikerin Bernried
Nikolaus Hipp öffnet jeden Morgen die kleine Pilgerkapelle Herrenrast. Er lebt, wovon er in seinen Gemälden erzählt. Persönliche Aussagen und Empfindungen, das Ego, stehen zurück hinter der Wirklichkeit der stärksten Macht. Unbeirrt dient der Künstler dem großen Ganzen, indem er den Platz, den er zugewiesen bekam, ausfüllt mit der Suche nach dem Besten, das er dazu beitragen kann.
Kraftvoll sind die Handlungen im Beruf als Unternehmer, ohne Zaudern erfolgen jene in der Malerei. Nikolaus Hipp zeigt mit seiner Kunst, dass die Aspekte des Lebens, der Bezug des Menschen zum Kosmos erst diskutiert werden kann, wenn die Eigenart sichtbar gemacht wurde. Das Bewusstsein stärkt die Verankerung im Leben.
Nikolaus Hipp malt abstrakt. Abstrakte Formen lassen nicht mehr Interpretationsmöglichkeiten offen, nein, sie sind in den Aussagen sogar präziser. Es sind die Themen, die oft keine Namen tragen, die uns allen dennoch geläufig sind: Tag und Nacht, Spannung und Ruhe, das Kleine im Großen, das weite Grau, Öffnung und Verschluss, hart und weich, Zwischentöne.
Der Künstler vermag aufzuzeigen, dass uns die Bilder alle betreffen. Er tut dies unaufdringlich. Er stellt einfach fest. Und die Freude zum Leuchten zu bringen, was da Überwältigendes ist, nährt wiederum den Künstler und ist ihm Lohn.
Er ist ein Meister der Komposition. Alle Bilder sind in sich geschlossen. Die Formen sind zentriert oder ausgewichtet. Die Farben fangen sich gegenseitig auf, sollten sie einmal aus dem Rahmen zu fallen drohen.
Wie soll es gefasst werden, wie können wir es begreifen, jenes, das unser Sein ausmacht? Was kann interpretieren und urteilen bringen?
Dürfen wir es erleben, uns aufgehoben fühlen, uns eingeben in den göttlichen Plan?
Nicht mit Eitelkeit trennen, sondern mit Staunen annehmen! Glücklich, wer dies wie Nikolaus Hipp aufzeigen kann und weiß, dass diese Gabe Geschenk und Verpflichtung zugleich ist.
2004
Pia Zeugin
Kunsthistorikerin | Basel, Schweiz
Abstrakte Welten
Die Sprache der Kunst ist universal: Die Gemälde brauchen keine Übersetzung, die Staatsgrenzen haben für sie keine Bedeutung, sie sind die eingeprägte Gestalt und Essenz künstlerischer Energie. Diese Äußerung trifft auf die abstrakte Malerei noch mehr zu, wenn der Maler bewusst auf die Wiedergabe der reellen Welt verzichtet, auf jegliche Assoziationen mit Gegenständen oder Orten, indem er eine eigene Welt aus Bildern und Gefühlen kreiert. Genau so sind die Bilder von Nikolaus Hipp, des bekannten deutschen Malers, des Menschen, der mit einem universalen Talent begnadet ist, das er in verschiedensten Bereichen realisiert.
Eine seiner Tätigkeiten ist es auch, sein Wissen über Kunst und Malerei an junge Menschen an der staatlichen Kunstakademie in Tiflis in Georgien weiterzugeben.
Es ist ganz selbstverständlich, dass der Maler Nikolaus Hipp, der dieses künstlerische Temperament und diese aktive Lebensposition besitzt, versucht, in seinen Bildern die Malerei von einer passiven Ähnlichkeit mit irgendwelchen Erscheinungen des Alltags zu befreien, indem er seine eigene, „autonome“ künstlerische Realität schafft.
Abstrakte Gemälde von Nikolaus Hipp haben meistens keine Namen, lediglich Nummern. Dem Zuschauer wird vorgeschlagen, die Malerei als solche zu beurteilen – die Konzeption der Farben, die Vielfältigkeit der Faktur der Farbschicht, ja die Bewegung der Hand des Malers, die auf die Leinwand Farben aufträgt. Dynamische, emotional aufgeladene abstrakte Kompositionen des Meisters sind vom besonderen visuellen Rhythmus gekennzeichnet, welcher es ermöglicht, die Wirkung der Malerei zu verstärken, den Effekt der Präsenz des Autors, den physischen Prozess des Malens zu unterstreichen.
Die Kompositionsstruktur der Gemälde bilden vertikale und horizontale Pinselstriche, die manchmal lang und leicht, manchmal energisch und etwas ungeordnet sind. Die Farbstriche überschneiden sich und bilden eine dichte Farbschicht, welche der Bildoberfläche eine Fühlbarkeit und eine fast dreidimensionale Tiefe vermitteln. Der Farbenraum der Bilder von Nikolaus Hipp verblüfft durch tiefe und satte Farben. Die Farbe in seinen Abstraktionen wird auf dem intuitiven Niveau wahrgenommen – wie eine Metapher des Daseins, der menschlichen Gefühle und Beziehungen. Die ungehinderten Bewegungen der ineinander durchdringenden Farbflecken schaffen eine nicht spürbare Stimmung der innerlichen Harmonie, – sei es das heiße Flimmern von roten und orangefarbenen Tönen oder das pastellige Strahlen von weißen und hellgrauen Nuancen.
Eins der bekanntesten Bilder von Nikolaus Hipp – das im Münchner Dom hängt mit dem Titel „et vitam venturi saeculi“, also das ewige Leben – bringt am besten sein künstlerisches Credo zum Ausdruck: das Streben nach Harmonie (trotz des Asketismus der künstlerischen Gestalt) und inhaltsvolle Geistigkeit der abstrakten Formen. Die für viele Bilder des Malers charakteristische emotionale Spannung ist auch in diesem Werk durch nachdrückliche Suche nach einem plastischen Äquivalent für das Weltallsystem hervorgerufen, für den Sinn der Dinge, für den ewigen Konflikt zwischen dem Leben und Tod, dem Licht und der Dunkelheit.
Der Glaube an den Sieg des Guten über das Böse kann nicht, wie ein Gemälde, abstrakt sein.
Er zeigt sich in ganz konkreten Taten: in der Liebe zu Gott und zu dem Nächsten, in ehrlicher Arbeit, in der Hilfe für Leidende und Arme.
Und, letztendlich, im langjährigen Dienen der Kunst. Genau das Einhalten dieser Lebensprinzipien erklärt wahrscheinlich den Charme der Person von Nikolaus Hipp – des Malers und des Menschen.
2003
Elena Borovskaja
Dr. d. Kunstwissenschaft | Mitglied des Malerverbandes Russlands, St. Petersburg
Entrückung und Unmittelbarkeit.
Über das Abenteuer, in die Bilderwelt von Nikolaus Hipp einzutauchen
Nikolaus Hipps Bilder sind wie der Blick von der Spitze eines Berges aus, wo der Lärm der Welt verstummt und der Mensch mit den Elementen allein ist. Der Maler, der die Einöde äußerer wie innerer Zurückgezogenheit aufsucht, gleicht einem Alpinisten; doch die Dramaturgie seines Aufstiegs folgt anderen Spielregeln. Der in die Ferne gerichtete Blick umarmt den Horizont und lässt die atemberaubende Schönheit des reinen und zwecklosen Spiels der von aller Gegenständlichkeit befreiten Farben, Formen und Strukturen in sich einströmen, die sich in ihrer wahren und elementaren Gestalt zu erkennen geben. Unmittelbar ergreift das Auge des Betrachters Besitz von ihnen, dringt in sie ein, verschmilzt mit ihnen, wird ein Teil von ihnen.
Da gibt es eruptive Bilder von vulkanischer Schönheit und lautloser Dramatik. Daneben aber kühle, ja mitunter frostige Bilder von geradezu gläserner Transparenz. Nikolaus Hipps Bilder sind Schauplatz einer dramatischen, zugleich jedoch immer versöhnlichen Begegnung der Elemente: Mineralisches trifft auf Ätherisches, Feuer auf Eis, flammend vibrierende Luft auf abweisend-eisige Polarnacht.
Farbe ist bei Nikolaus Hipp nicht nur ein bedeckendes, äußeres Element, sondern Farbmaterie, Materie, die aus ihrer Erstarrung erwacht, erlöst wird von ihrer Schwere und Degradierung zum toten Stoff. Mehr noch: Farbe ist hier gleichsam materialisiertes Licht – oder vielmehr: Materie, die sich zu reinem Licht sublimiert hat. Für Nikolaus Hipp könnte ein Satz gelten, den Paul Klee geprägt hat und der seitdem unzählige Male zitiert worden ist, aber selten so zutreffend wie hier: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ Nikolaus Hipp, der im Übrigen seine Bewunderung für Paul Klee keineswegs verschweigt, macht die Leinwand zum Ort einer alchemistischen Verwandlung. Er gibt der Materie jene Seele, jene Lebendigkeit zurück, die ihr die instru-mentelle Vernunft geraubt hat. Farbe steht hier ebensowenig im Dienste der Darstellung eines Gegenstandes wie die Formen und Strukturen, die keinem anderen Gesetz und keinem anderen Zweck gehorchen als dem freien Spiel der Kräfte und dem, was Kandinsky die innere Notwendigkeit genannt hat.
Der Betrachter stürzt sich hinein, dringt ein und lässt sich fortreißen von diesem brodelnden Chaos sich eben formierender Urgewalten. Er wird zum Augenzeugen, ja er begleitet diese Weltgeburten, nimmt ein Bad in den Urgewässern, taucht hinab ins Elementare, um selbst wieder elementar zu werden und gleichsam neu geboren und mit der Macht der Imagination gestärkt daraus emporzutauchen.
Dies ist keineswegs gleichnishaft zu verstehen. Nikolaus Hipps Bilder sind neue Welten, Parallelwelten in statu nascendi, Chaos, das sich eben zu ordnen beginnt, aber noch sämtliche Möglichkeiten in sich birgt: schöpferisches Chaos, aus dessen Brennstoff die Phantasie ihre Flamme nährt.
Keiner hat solche Zusammenhänge besser zu formulieren verstanden und wäre berufener, hier als Kronzeuge zitiert zu werden, als Paul Klee, wenn er seinen Schülern rät: „Gehen Sie den natürlichen Schöpfungswegen nach. Vielleicht werden Sie eines Tages selber Natur sein, bilden wie die Natur.“ Oder, in einem Vortrag über die moderne Kunst aus dem Jahre 1924: „Je tiefer (der Künstler) schaut, desto mehr prägt sich ihm an der Stelle eines fertigen Naturbildes das allein wesentliche Bild der Schöpfung als Genesis ein … Unser pochendes Herz treibt uns hinab, tief hinunter zum Urgrund …“. Soweit also Paul Klee.
Nikolaus Hipps Bilder fordern zur Versenkung auf, zwingen den Betrachter, die gewohnte Umgebung zu verlassen und jenen magischen Ort aufzusuchen, wo innere und äußere Natur nicht länger als Gegensatz empfunden werden und wo der innere Klang der chromatischen Symphonie konzertierender Farben antwortet. Dies ist der Ort, den schon die Surrealisten beschworen und den wohl der französische Philosoph Claude Levi Strauss gemeint hatte, als er vom „Herzzerreißenden der Dinge“ sprach, eine für den sonst so unpathetischen Philosophen völlig unübliche Wendung.
Es ist kein Zufall und auch kein Willkürakt, dass Nikolaus Hipps Bilder einen Kalender zieren. Im Gegenteil, der jahreszeitliche Wandel kann geradezu als Sinnbild für den Reichtum und die Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten in seinem Werk gelten. Umgekehrt sind Hipps Bilder gleichsam eine Feier des Jahreskreislaufs in seinem ständigen Crescendo und Decrescendo an Farben, Stimmungen und Lichtverhältnissen. Da gibt es Augenblicke der Emphase und Perioden der Ruhe, schrille Fanfarenklänge und die Stille einer Mondlandschaft.
Wohlgemerkt, die Bilder von Nikolaus Hipp sind weder Illustrationen noch Deutungen von Naturerscheinungen, und ebensowenig beschreiben sie Jahreszeiten. Dennoch bemerkt das Auge des Betrachters, der die Parade der Bilder entlangschreitet, eigentümliche Analogien, so als sei der Pulsschlag der Natur auch in ihnen zu spüren, als seien Kunst und Natur kommunizierende Röhren und durch einen gemeinsamen Blutkreislauf verbunden.
So ist das Märzbild ein Jubelschrei, ein Posaunenschall, der die Natur vom Kälteschlaf erlöst – kein stilles Erwachen, sondern eine machtvolle Attacke, ein heftiger Lavaerguss, der den Erdschoß zerreißt, um in konvulsivischen Stößen das neue Licht zu gebären, die Magmarose, Erdbrocken aus und um sich schleudernd.
Der Mai lässt ein Gewitter von Lichtkaskaden aus dem weit geöffneten Himmel stürzen, und in Gold gekleidet betritt der August die Bühne: Von flirrender Hitze und vibrierendem Licht in einen eigentümlichen Somnambulismus versenkt, kippt der Geist um ins Imaginäre und gleitet entlang an Kolonnaden vom Sand verschluckter Städte einer von lichtgewebten Tüchern verhüllten Fata Morgana.
Im Oktober ist der mittägliche Jubelschrei verstummt, verzehrt der Brennstoff, erloschen der Lichtschoß. Die Farben welken dahin und verblassen. Den Reigen der jahreszeitlichen Akteure beschließt ein Bild von weihnachtlichem Zauber: Der Ort der Geburt wird zum Refugium der Seele, die, einer Blume gleich, die ihre Blütenblätter schließt, ins Innerste sich zurückzieht, ins rote Herz der Dinge, in die Geborgenheit der Höhle, in deren tiefstem lnnern ein Glühen die Neugeburt von Zeit und Licht erahnen lässt.
2002
Leo Maria Giani
Die Diskretion der abstrakten Malerei von Nikolaus Hipp
Wenn man künstlerische Erfahrungen, die wie bei Nikolaus Hipp im weitesten Sinne auf abstrakte Kunst zu beziehen sind, kritisch betrachten möchte, so denkt man nicht selten an tägliche Erfahrungen, aus denen spontan eine Anziehungskraft zu unbestimmbaren Bildern deutlich wird. Durch das allen zugängliche Erproben des Alltäglichen soll eine Annäherung an andererseits nicht sofort fassbares, künstlerisches Suchen ermöglicht werden. ln diesem Sinne sind die Beobachtungen Leonardo da Vincis über die Form von Wolken und Wandflecken, die noch keine Figuren sind, besonders wertvoll. Beim Beobachten der Wolken oder der Bewegung des Wassers offenbart sich ein Zugang zum Betrachten von Dingen, die nicht sofort als solche erkennbar sind, von Figuren, die sich noch nicht voll abzeichnen, eine fluktuierende Form haben. Ein Betrachten also, das sich sozusagen als natürliche Annäherung an die Theorie der abstrakten Kunst versteht. Bei derartigen Erfahrungen ohne besonderen künstlerischen Bedeutungsgehalt tritt die Notwendigkeit zu Tage, sich manchmal von dieser materiellen Welt der Dinge, Figuren, Formen und sonst nichts abzusetzen. Jeder Mensch besitzt die Veranlagung, sich verzaubern zu lassen, und diese Verzauberung zeigt sich durch die Undefinierbarkeit all dessen, was man gerade beobachtet. Aber auch dann, wenn man klar erkennbare und bekannte Dinge betrachtet, ist es dennoch möglich, über das Alltägliche hinauszugehen und dem Unvorhersehbaren, den auftauchenden Assoziationen eines momentanen Phantasierens zu folgen. Es eröffnet sich uns eine andere Dimension, die weit entfernt ist von dem, was wir gewöhnlich erleben. Die Zeit scheint aufgehoben, und die Ereignisse haben keine Folgerichtigkeit mehr, sondern treten alle zugleich auf, stehen vor unserem Auge und verschwimmen ineinander.
Es ist also, ob man sich für einige Augenblicke aus der Überfülle unserer Welt jenseits des uns Umgebenden und schon Bekannten schwinge. Dinge, die antagonistisch keine klar erkennbaren Bedingungen preisgeben, wie Wolken oder großflächige Flecken, sind für den Betrachter wie ein Sprungbrett, das den Schwung nur noch steigert, wenn er sich beschwingt und überraschend dem Metachronismus nähert. Das außergewöhnlichste Sprungbrett, das auch den weniger geübten Betrachtern eine Chance gibt, ist der Horizont. Man braucht nur von irgendeinem höher gelegenen Punkt den Blick auf die Linie des Horizonts zu richten, und die Auflösung, im Sinne einer momentanen Aufhebung der Schwerkraft, liegt auf der Hand. Für Leopardi sind diese Gefühle süß, ein Tor zur Ewigkeit „und den toten Jahreszeiten“, ohne dass „die gegenwärtige und lebende“ Jahreszeit dabei jedoch ganz verschwindet. Auch Zara-thustra hegt solche Wünsche, auch er möchte den Blick auf „ferne Meere“ der Jahreszeit, der Fülle richten.
„Seht, welche Fülle ist um uns! Und aus dem Überfluss heraus ist es schön, hinaus zu blicken auf ferne Meere.“ Nicht anders als bei dem italienischen Dichter ist auch hier das Gefühl der Süße spürbar, das Gefühl reifer Feigen, die vom Baum fallen, gleich den Gedanken eines Weisen. Die Haut der Feigen ist Rot, und so kommt hier jene chromatische Nuance dazu, die erlaubt, zur abstrakten Malerei zurückzukehren. Das Rot der Feigen leuchtet an einer anderen Stelle des „Zarathustra“ besonders intensiv.
Hier allerdings will Nietzsche nicht einem Gegenstand Ausdruck geben, der herbstlichen Frucht, sondern dem Seelenschmerz, seiner „purpurnen Schwermut“. Und da liegt der Übergang zum Jenseits, dem Punkt, wo der Betrachter, nachdem er sich befreit hat, untertauchen kann: das Gefühl, die Sehnsucht, das Schlagen des Herzens. Der Übergang ist bei Zarathustra durch eine Farbe betont: das Purpurrot. Die Farbe gibt Zugang zur Welt der Gefühlsregungen, zu deren fließenden Übergängen, deren unaufhörlicher Anwesenheit, zu Gefühlsregungen, die dank des Widerstands der dicken Haut alltäglicher Gewohnheiten, nur eben am Überfließen gehindert werden. Aber schon wenig genügt, der Duft reifer Früchte, ein Blick ins Weite, und die Gefühle fließen wie aus einer Wunde im Stoff des Tagtäglichen.
2001
Riccardo Caldura
… Hat man sich erst einmal von dem Versuch gelöst, irgendetwas Gegenständliches in seinen Bildern erkennen zu wollen, kann man sich ganz den spannungsreichen Farbdialogen hingeben und erfährt dabei ein fast transzendentes bzw. meditatives Erlebnis.
Dass einen dabei dennoch niemals die Angst befällt, sich in den Arbeiten zu verlieren, liegt daran, dass der Künstler fast immer regelmäßige orthogonale Strukturen miteinbaut, die eine Orientierung erleichtern.
Ein im gleichen Sinne wirkendes Element ist wohl, dass er den Bildschwerpunkt zumeist relativ zentral anordnet und dann um diesen herum an der Equilibrierung der Farbgewichte arbeitet, wodurch er einzelne radikale Ausbrüche immer wieder ausgleicht und seinen -Bildern dieses Maß an Balance und Rhythmik verleiht.
Die Tatsache, dass sich Nikolaus Hipp, ein Meisterschüler der Münchener Kunstschule von Heinrich Kropp, all diese Fähigkeiten parallel zu seinem allseits bekannten, so erfolgreichen wie zeitaufwendigen Wirken als Unternehmer angeeignet und immer weiter perfektioniert hat, verdient höchste Anerkennung.
Auch wenn sich in seinen Werken eine eigene Handschrift herauskristallisiert hat, die diese unverwechselbar machen, so bleibt er dennoch nie berechenbar.
In vielen Bildern glaubt man bereits deren Fortsetzung angelegt zu spüren, letztendlich jedoch offenbart sich immer wieder Neuartiges.
Wahrscheinlich wird darin die nie versiegende, einfach nach Äußerung drängende, kreative Fantasie, die einen Künstler von einem Nicht-Künstler unterscheidet, offenbar.
Aus dieser Passioniertheit heraus schafft es Nikolaus Hipp immer wieder, Momentaufnahmen von Gefühlszuständen mittels Farbe in überzeugender Weise zu visualisieren und so tatsächlich das Unsichtbare sichtbar zu machen.
1975-2000
Dr. Alexander Rost
2015 erschien das umfangreiche Katalogbuch „Nikolaus Hipp Bilderwelten 1973 – 2015“
mit zahlreichen Abbildungen und Texten im Kastner-Verlag, Wolnzach
ISBN 978 – 3-945296-27-1
2018 erschien das Buch „Lithowelten 2000 – 2018“
im Kastner-Verlag, Wolnzach
ISBN 978 – 3-945296-62-2
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